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Der Zauber der Casati

Der Zauber der Casati

Titel: Der Zauber der Casati Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camille de Peretti
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glaube nicht an instinktive Muttergefühle, ich glaube, dass es sich da um einen langen, schmerzhaften Lernprozess handelt, in dem wir gezwungen werden, unsere Prioritäten über den Haufen zu werfen, unsere Müdigkeitsbereitschaft und Toleranzschwelle auszuweiten, und der uns derart in die Enge treibt, dass wir bereit sind, uns selbst in Frage zu stellen. Luisa war nie eine Mutter.

    Die Taschen voller Geldscheine, unternahm sie 1925 eine große Reise durch die Vereinigten Staaten. Sie besuchte New York, Florida, San Francisco, den Grand Canyon. Ein Bild von Alberto Martini zeigt sie als Indianerhäuptling, eine Haube aus Adlerfedern auf dem Kopf, einen Bogen in der gereckten Hand, hoch über einer roten Felsenlandschaft. Der Grand Canyon ist der großartigste Anblick, den man sich vorstellen kann. Durch seinen Vertrag an die Mäzenin gebunden, ist Martini in den Jahren 1924 bis 1927 äußerst produktiv. Unter anderem malt er ein Porträt von Luisa als Cesare Borgia, die glitzernde goldene Rüstung überragt von einem enormen weißen Federbusch. Luisa hatte Martini gebeten, Anaxaragus zusammengerollt zu ihren Füßen darzustellen – einige Zeit zuvor war die Boa an einer Lungenentzündung verstorben. Vergebens hatte Luisa mit ihr die besten Tierärzte aufgesucht. Ich kann mir Luisa nur schwer traurig vorstellen. Dennoch hatte sie die Boa als einziges ihrer Tiere wirklich geliebt. Sie war ihre Komplizin, ihre Genossin, das erste Instrument ihrer Legende und Gegenstand unendlichen furchtsamen Geredes. Dank Anaxaragus hatte man sie gefürchtet und bewundert. Er war das Feuer unter der Asche, mit seinen grandiosen schwarzen, schräg stehenden Augen, dieses Tier, das so ruhig und friedfertig die dargereichten Mäuse verschlang. Das Gewicht der schweren Schlange auf den Schultern würde ihr auf ewig fehlen, wie die Umarmung eines Geliebten, wie ein Mantel aus Fleisch, wie eine zweite, spektakuläre Haut.
    Um sich zu trösten, bestellte sie in Togo einen Königspython. Der unaufmerksame französische Zoll ließ das schwarz-gelb geringelte Tier im Flughafenhangar von Le Bourget erfrieren. Anaxaragus sollte nie einen Nachfolger haben.

I rgendwann begriff die Casati, dass ihre Freunde sich nur nach Le Vésinet bemühen würden, wenn sie ihnen einen außerordentlichen Anlass dazu bot. So beschloss sie, an den venezianischen Prunk anzuschließen, und veranstaltete am 30. Juni 1927 einen Ball, der in den Annalen verzeichnet bleiben sollte. Leider aus anderen Gründen als den erhofften. Auf den Einladungskarten stand unter dem Porträt, auf dem Martini sie als Medusa zeigte: «Graf Cagliostro lädt zu einem Magischen Abend mit Tanz.» Ihrem Geschmack am Obskuren getreu, hatte sie Giuseppe Balsamo, besser bekannt unter dem Namen Graf Cagliostro, gewählt, den Zauberkünstler, Wunderheiler und Hochstapler des 18. Jahrhunderts. Dieser Alchemist, der Blei in Gold verwandeln zu können behauptete, dieser Salonmagier, der allerlei Schönheitswässerchen und ein Serum der ewigen Jugend verkaufte, hatte zahlreiche leichtgläubige Aristokraten um ihr Geld erleichtert und war sogar in die «Halsbandaffäre» um Marie-Antoinette verwickelt gewesen.
    Der Abend des Festes nahte. Auf einem Höckerchen stehend, legte der Perückenmacher letzte Hand an die goldenen und silbernen Locken, die der Marchesa nach englischer Manier auf die Schultern fielen. Als Kostüm hatte Luisa das Gewand von Cagliostro höchstselbst gewählt. Die irrsinnige Perücke à la Louis XIV wurde ergänzt durch eine vergoldete Halbmaske, die den oberen Teil ihres Gesichtes verbarg. Dazu eine diamantenbestickte Jacke und hochhackige, bis über die Knie reichende Stiefel mit Schleifen auf dem Fußrücken – wieder einmal würde sie beklatscht werden. Durch das große Fenster ihres Schlafzimmers konnte Luisa die Ankunft der ersten Gäste verfolgen. Die Kostüme waren üppig: Bänder und Unterröcke bei denen, die sich für ein pastorales achtzehntes Jahrhundert als Motto ihrer Verkleidung entschieden, Spitzen und Krinolinen für diejenigen, die Versailler Hofmode gewählt hatten. Die Duchesse de Gramont kam als schwarze Schlange, in einen von vier ägyptischen Sklaven getragenen Sarkophag gerollt, die berüchtigte polnische Sängerin Ganna Walska als Paradiesvogel in einem bunten Federkleid. Manche Gäste, wie die Marquise de Chabannes, die als laszive Kleopatra auftrat, hatten sich zuvor von der American Vogue ablichten lassen, sodass alle Welt Kunde von Marchesa

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