Der Zauber des Engels
Danach legte ich seine große, kühle Handfläche an meine heiße Wange und schloss die Augen. Ich fühlte mich sicher und beschützt.
»Dessert? Kaffee?«, fragte der Kellner, als er die leeren Teller abräumte.
Zac sah mich fragend an. »Nein«, antwortete ich hastig. »Danke.«
Ich ließ Zac die Rechnung begleichen und mir in den Mantel helfen. Dann standen wir draußen auf der Straße. Dieses Mal legte Zac den Arm um mich und hielt mich fest. Ich war nicht mehr allein.
An der nächsten Ecke, wo uns niemand sah, zog er mich in den dunklen Eingang eines Bürogebäudes, und wir küssten uns. Es waren lange, sehnsüchtige Küsse, die mich schwindelig machten. Jetzt wusste ich, wie sein Haar sich anfühlte, dick und lockig, wie rau sein Kinn war, wie seine Augen glühten. Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war. Als wir uns endlich voneinander lösten, wickelte er mich in seinen Mantel, um mich gegen die Kälte zu schützen. Aber ich zitterte trotzdem noch.
»Was sollen wir jetzt machen?«, flüsterte er. »Bei mir herrscht großes Chaos, weil ich schon alles gepackt habe. Ich schlafe im Moment auf dem Sofa.«
Es war fast Mitternacht – zu spät, um ihn ins Pfarrhaus mitzunehmen. Aber wir wollten uns noch nicht trennen.
»Ich habe eine Idee«, antwortete ich.
In der Wohnung über Minster Glass war es genauso kalt wie draußen, weil der Strom abgestellt worden war. Aber wir wärmten uns gegenseitig. Irgendwie schien es richtig zu sein, die Wohnung wieder zu einem Ort der Liebe zu machen, uns unter eine Decke aufs Sofa zu kuscheln und den Geruch von Feuchtigkeit und Qualm einfach zu ignorieren.
In Zacs Armen fühlte ich mich sicher. Endlich war ich nach Hause gekommen, richtig nach Hause. Ich vergoss ein paar Tränen – vor lauter Glück und weil er bald eine Weile weg sein würde.
»Wein doch nicht«, flüsterte er und küsste mich wieder. Und dann raunte er mir ins Ohr. »Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch.« Ich schaute in sein Gesicht, das im Licht der Straßenlaternen ein bisschen fremd und sehr ernst aussah. Sanft strich ich ihm über die Wange.
»Ich liebe dich schon so lange, Fran.«
»Wie lange?«, fragte ich, dabei wusste ich die Antwort längst. So vieles ergab nun plötzlich einen Sinn. Zacs barsche Art. Seine Traurigkeit. Ich hatte alles auf Dad und Olivia geschoben, dabei waren sie gar nicht der alleinige Grund gewesen.
»Erst seit du im September zurückgekommen bist«, sagte er. »Traurig, oder?«
»Oh Zac.«
»Ja, aber du hast es nicht gemerkt, oder?«
Warum nicht? Warum merkt man so etwas nicht? Weil wir auf andere Dinge achten, auf andere Menschen. Dabei ist das, was wichtig ist, oft so nah.
»Ich war mir erst nicht sicher«, fuhr er fort. »Ehrlich gesagt, bist du mir ziemlich auf die Nerven gegangen. Ich fand dich nett, aber auch ziemlich egoistisch.«
Egoistisch. Noch vor drei Monaten hätte ich das weit von mir gewiesen. Jetzt tat es immer noch weh, aber ich verstand, wieso er diesen Eindruck gewinnen konnte. Ich war innerlich sehr verschlossen gewesen. Wie eine unreife Nuss. »Du bist ein stilles Wasser, Zac McDuff«, sagte ich zu ihm. »Und du bist schrecklich, ehrlich.«
Er legte den Kopf in den Nacken und lachte. Seine Augen leuchteten in dem goldenen Licht.
»Aber die ganze Zeit, als ich mit Ben zusammen war …« Es musste ihm schrecklich wehgetan haben.
»Ich konnte nie glauben, dass du den Typen nicht durchschaut hast«, sagte Zac aufbrausend. »Das Wort ›Mogelpackung‹ steht ihm doch mitten ins Gesicht geschrieben.«
Ich dachte kurz darüber nach. Armer alter Ben. Ja, er war arm, denn auch wenn er Menschen benutzte, er konnte es nicht selbst erkennen. Er war blind vor Ehrgeiz, und am Ende würde er daran zugrunde gehen. Trotzdem musste es für Zac schwer gewesen sein, mich mit ihm zu sehen und nichts sagen zu können. Denn wenn er es versucht hätte, hätte ich ihn mit Sicherheit in die Schranken gewiesen.
Trotz der Kälte schliefen wir erstaunlicherweise zusammen ein, bis am nächsten Morgen die Sonne aufging und der Hunger uns aus dem Bett trieb. Wir gingen auseinander und versprachen, dass wir uns abends wieder treffen würden. Ich schlich zurück ins Pfarrhaus und huschte die Treppe hinauf, obwohl ich Sarah in der Küche hantieren hörte. Nur Luzifer, der auf der Heizung in der Diele lag, sah mich. Er hielt in seinen Putzbewegungen inne und warf mir vorwurfsvolle Blicke zu. Inzwischen hatte er sich an mich gewöhnt, aber ich hatte nicht
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