Der Zauber des Engels
hatten gehofft, ihre beiden Töchter kämen zu Besuch, aber an Heiligabend, kurz bevor Fenella und ihr Verlobter kamen, erhielten sie einen Anruf von Miranda. Sie würde nicht kommen. Jeremy und ich saßen in der Küche und hörten, wie Sarah bettelte und flehte, ihr anbot, ihr Vater würde sie in Bristol abholen, aber sie weigerte sich. Vielleicht könnten sie sie ja zu Silvester besuchen, schlug Miranda vor, aber wir hatten alle das Gefühl, dass sie bloß versuchte, ihre Mutter abzuwimmeln. Als das Gespräch beendet war, weinte Sarah, und Jeremy musste sie trösten. Ich betrachtete das Foto von Miranda auf der Kommode: ein glücklich strahlendes Kind in Schuluniform. Keine Spur davon, dass sie einmal an Magersucht leiden könnte.
Ich überlegte, wie Zac wohl mit seiner Suche nach Olivia vorangekommen war. Zu Anfang hatten wir noch regelmäßig miteinander telefoniert. Er hatte aus Melbourne angerufen, manchmal mitten in der Nacht, und einsam und elendig geklungen. Nachdem er jedoch den ersten Abend bei den Freunden der Quentins verbracht hatte, hatte er sich wesentlich besser angehört.
Es dauerte eine Woche, ehe er Shona und Olivia ausfindig gemacht hatte, und eine weitere, bis er mit Shona reden konnte. Es stellte sich heraus, dass sie gar nicht mehr an der Adresse wohnte, an die er all die Jahre seine Karten geschickt hatte. Die ältere Nachbarin, die ihn darüber informierte, wusste nicht, wo sie hingezogen, sondern nur, dass sie verheiratet war. Shonas Vater sei vor zwei Jahren gestorben, berichtete sie, seine Witwe sei letztes Jahr an Weihnachten in ein kleineres Haus auf der anderen Seite der Stadt gezogen. Es war noch zu früh, um ihre Adresse in einem der Telefonbücher zu finden, wie Zac feststellte, als er nach E. Donaldson suchte. Also rief er sämtliche anderen Donaldsons an, und endlich, kurz vor Weihnachten, hatte er Shonas Onkel ausfindig gemacht, ihm die Nummer des kleinen Hotels gegeben, in dem er wohnte, und gewartet.
Als Zac Heiligabend anrief, klang er nervös und resigniert. Den ersten Weihnachtstag wolle er bei den Freunden der Quentins verbringen, erzählte er, und ich war erleichtert. Trotzdem dachte ich am nächsten Tag ununterbrochen an ihn.
Eine Woche verging, in der der Donaldson-Clan beratschlagte, dann erfuhr Zac eines Abends, als er ins Hotel zurückkam, dass Shona angerufen hatte.
Wenig später rief Zac erneut an und berichtete, dass er Olivia getroffen habe. Er war viel zu aufgewühlt, um zusammenhängend zu erzählen, aber ein paar Dinge bekam ich mit. Shona war mit einem Mann verheiratet, der ebenfalls Kinder aus einer früheren Beziehung hatte. Sie hatte Olivia erklärt, dass sie einen Vater in England habe, den sie jedoch nicht sehen könne.
»Sie hat es nicht mal versucht, Fran, das ist es, was mich am meisten schmerzt«, sagte er.
»Aber heute hat sie erlaubt, dass du deine Tochter treffen kannst?«
»Ja, ihre Mutter hat sie offenbar dazu überredet. Sie sagte, Olivia würde sonst vielleicht eines Tages erfahren, dass ich extra gekommen sei, um sie zu besuchen; vielleicht würde sie ihrer Mutter nie verzeihen. Aber Shona wollte auf keinen Fall, dass ich zu ihnen nach Hause komme. Also haben wir drei uns in einem Café getroffen. Es war unglaublich, meine Tochter nach so langer Zeit wiederzusehen. Ich meine, sie war damals noch ein kleines Baby. Sie ist Shona sehr ähnlich, aber die Art, wie sie sich bewegt – das erinnert mich sehr an meine Mom. Dabei haben sie sich nie im Leben gesehen. Wie funktioniert das mit den Genen?«
»Keine Ahnung.« Ich lachte. »Wie ist sie denn sonst so?«
»Sehr selbstsicher und sehr ernst. Sie hört ganz genau zu. Ich kam mir vor wie … wie ein Fremder, zu dem sie einfach nur nett und höflich war. Trotzdem glaube ich, dass sie sich gefreut hat, mich zu sehen. Shona behütet sie sehr, aber in ein paar Tagen darf ich sie noch einmal sehen. Ich habe ja keine Ahnung, was man mit einem Mädchen so macht. Shona hat vorgeschlagen, zum Rollerskaten mit ihr zu gehen. Hoffentlich kann ich das noch.«
Bei der Vorstellung, wie Zac auf Rollerskates herumstolperte, musste ich lachen. »Verletz dich um Himmels willen nicht«, sagte ich. »Ich hätte dich gern heil zurück.«
»Du kriegst mich heil zurück«, versicherte er leise. »Ich fürchte nur, mein Herz wird zerrissen sein, eine Hälfte wird hier bei meiner Tochter bleiben.«
Darüber dachte ich lange und intensiv nach. Viele Frauen hätte das sicher verunsichert, aber ich wusste, wie es
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