Der Zauber des Engels
war, mit nur einem Elternteil aufzuwachsen. Ich war stolz auf Zac und auf das, was er tat; und ich würde ihn dabei unterstützen, wo ich nur konnte.
Ich wünschte mir nur, dass er endlich nach Hause kam.
Jeremy und Sarah fuhren über Silvester zu ihrer jüngeren Tochter und ließen mich allein im Haus. Es wurde eine sehr produktive Zeit. Die Handwerker würden am ersten Montag im neuen Jahr bei Minster Glass anfangen, und bis dahin hatte ich noch eine Menge zu tun.
Es war seltsam, nach so langer Zeit auf Dads Dachboden hinaufzugehen. Alles war genau so, wie ich es zurückgelassen hatte – das Manuskript über die Geschichte der Firma lag auf seinem Schreibtisch, zwischen Aktenstapeln und Papierrollen. Ich wusste, dass ich aufräumen musste.
Als ich auf der Suche nach Gummiringen die Schreibtischschubladen aufzog, erwartete mich eine Überraschung. Eine Schublade war mit kleinen Taschenkalendern aus der Zeit zwischen 1920 und 1930 vollgestopft. Aber ich hatte jetzt keine Zeit, sie mir genauer anzuschauen. In der nächsten befand sich eine Schachtel mit Postkarten, auf denen bunte Glasfenster aus der ganzen Welt abgebildet waren. Wer wohl »Jim« gewesen war, derjenige, der sie geschickt hatte?
In der untersten Schublade entdeckte ich schließlich ein Kästchen mit Gummiringen, und dort fand ich auch eine Pappröhre mit einer Papierrolle. Es war ein Familienstammbaum, in Dads Handschrift sorgfältig beschriftet. Ich rollte sie auseinander und breitete sie auf dem Schreibtisch aus. Da waren wir alle, die Ashes und die Russells und die Morrisons in hundertdreißig Jahren Geschichte. Und es war so, wie ich gehofft hatte. Laura, die Frau von Philip, war meine Ur-Ur-Großmutter. Ihr Sohn Samuel, geboren 1882, hatte die Enkelin von Reuben Ashe geheiratet; somit war ich auch mit Reuben verwandt.
Dad hatte die Namen derjenigen, die je im Besitz von Minster Glass gewesen waren, unterstrichen. Samuel war einer von ihnen, Philip und Maries Sohn John jedoch nicht. Neben seinen Namen hatte Dad geschrieben: »In das Reedereigeschäft seiner Familie mütterlicherseits eingestiegen.« Vielleicht hatte John ja tatsächlich den Palazzo in Verona geerbt.
Laura hatte fünf Kinder bekommen, die alle das Erwachsenenalter erreicht hatten. Doch dann hatte es einen ersten Schicksalsschlag gegeben. Ihr dritter Sohn starb 1915 im Alter von dreißig Jahren. Aus der einfachen Zeichnung war nicht zu erkennen, woran er gestorben war, aber vermutlich war er in Belgien oder Frankreich an der Front gefallen.
Ich sah mich auf dem Dachboden um und fragte mich, welche Geheimnisse hier wohl noch verborgen sein mochten. Vielleicht gab es ja irgendwo im Haus ein Foto von Laura; wenn nicht hier oben, dann möglicherweise in den unteren Räumen. Sobald ich Zeit hätte, würde ich danach suchen. Und vielleicht würde ich eines Tages Dads Chronik von Minster Glass zu Ende schreiben. Das hätte er sich bestimmt gewünscht.
42. KAPITEL
Möge der Erzengel Raphael uns auf dem langen Weg begleiten; und mögen wir in Frieden und Freude in unsere Häuser zurückkehren.
Katholisches Gebet
»Halt es höher! Noch höher! Okay, jetzt nicht mehr bewegen.«
Amber lief nach draußen, stemmte die Hände in die Hüften und betrachtete stirnrunzelnd die Schaufensterauslage. Dann machte sie eine weitere kleine Handbewegung, und Anitas Mieter Larry, der auf einem Stuhl stand, hob die Eisenkette mit dem Engelbild noch ein paar Millimeter höher. Amber kniff die Augen zusammen und justierte erneut. Jetzt rutschte der Engel wieder nach unten, und sie nickte zufrieden. Larry befestigte die Kette am Haken und stieg dann erleichtert vom Stuhl.
»Amber ist nicht leicht zufriedenzustellen«, seufzte er und rieb sich die schmerzenden Arme.
»Glaub ja nicht, dass du schon fertig bist, Larry. Als Nächstes muss der Champagner ausgepackt werden«, erklärte ich lächelnd. Er begann, die Flaschen auf den Tisch neben die Gläser zu stellen, während ich zu Amber hinausging.
Zufrieden betrachteten wir den neuen Engel. Amber hatte ihn ganz allein gemacht; er war in Farbe und Form Dads Engel sehr ähnlich. Aber natürlich trug er auch ein bisschen Ambers Handschrift. Er sah jünger aus und viel lebendiger als Dads Version von 1970.
»Er ist wunderschön«, versicherte ich Amber. Erst jetzt, wo er an seinem Platz hing, war der Laden wirklich fertig. Ich schaute auf meine Uhr. »Nur noch eine halbe Stunde, bis die Gäste kommen.«
»Ich werde Anita helfen, die belegten Brötchen
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