Der Zauber des weissen Wolfes
und unbewaffnet, doch die Kraft, die ihm entströmte, trieb die drei Menschen beinahe zurück. Seine Haut war schuppig und von verwaschen-purpurner Farbe. An dem mächtigen Körper zuckten überall geschmeidige Muskeln, als er nun leicht auf den Zehenspitzen wippte. Der Schädel war langgestreckt, die Stirn fliehend nach hinten geneigt, die Augen wirkten wie blaue Stahlspäne und waren pupillenlos. Der ganze Körper erbebte in einer mächtigen, boshaften Freude.
»Sei gegrüßt, Lord Elric von Melnibone - ich beglückwünsche dich zu deiner Hartnäckigkeit.«
»Wer bist du?« knurrte Elric, die Hand am Schwert.
»Ich heiße Orunlu der Wächter, und dies ist eine Festung der Lords der Entropie.« Der Riese lächelte zynisch. »Du brauchst nicht so nervös an deiner winzigen Klinge zu tasten; du müßtest doch wissen, daß ich dir nicht mehr schaden kann. Nur dieser Eid machte es überhaupt möglich, daß ich in deiner Welt bleiben konnte.«
Elrics Stimme verriet seine wachsende Erregung. »Du kannst uns nicht aufhalten?«
»Ich wage es nicht - da meine indirekten Versuche fehlgeschlagen sind. Aber deine törichten Bemühungen verwirren mich irgendwie, das muß
ich zugeben. Das Buch ist für uns wichtig - aber was mag es dir bedeuten? Ich bewache es nun seit dreihundert Jahrhunderten und bin doch nie so neugierig darauf gewesen, daß ich feststellen wollte, warum meine Herren ihm eine so große Bedeutung beimessen - warum sie sich die Mühe machten, es auf seinem Weg zur Sonne abzufangen und auf diesem langweiligen Erdball einzusperren, bewohnt von den dummen, kurzlebigen Clowns, welche sich Menschen nennen.«
»Ich suche darin die Wahrheit«, sagte Elric langsam.
»Es gibt nur eine Wahrheit - und das ist die des Ewigen Kampfes«, sagte der rotbrennende Riese überzeugt.
»Was herrscht über die Kräfte von Ordnung und Chaos?« fragte Elric. »Was steuert ihr Schicksal wie auch das meine?«
Der Riese runzelte die Stirn.
»Die Frage kann ich nicht beantworten. Ich kenne die Antwort nicht. Es gibt nur das Gleich-
gewicht.«
»Dann kann uns vielleicht das Buch verraten, wer jene Macht besitzt«, sagte Elric zielstrebig. »Laß mich vorbei - sag mir, wo es liegt.«
Der Riese wich ironisch lächelnd zurück. »Es liegt in einer kleinen Kammer im mittleren Turm. Ich habe geschworen, mich niemals dorthin zu begeben, sonst würde ich dich vielleicht sogar hinführen. Geh, wenn du möchtest - meine Aufgabe ist erfüllt.«
Elric, Mondmatt und Shaarilla näherten sich dem Eingang zur Burg, doch ehe sie eintreten konnten, meldete sich noch einmal der Riese mit warnenden Worten.
»Man hat mir gesagt, das Wissen des Buches könne das Gleichgewicht zur Seite der Kräfte der Ordnung hin verlagern. Das beunruhigt mich -aber offenbar gibt es da eine andere Möglichkeit, die mir noch viel mehr Sorgen macht.«
»Und die wäre?« fragte Elric.
»Es könnte dermaßen heftig auf das Multiver-
sum einwirken, daß eine komplette Entropie das Ergebnis wäre. Das möchten meine Herren nicht -denn es würde letztlich die Zerstörung aller Materie bedeuten. Unser Leben gilt allein dem Kämpfen. Wir wollen nicht gewinnen, sondern nur den ewigen Kampf erhalten.«
»Das ist mir gleichgültig«, sagte Elric. »Ich habe wenig zu verlieren, Wächter Orunlu.«
»Dann geh!« Der Riese verließ den Hof und schritt in die Dunkelheit hinaus.
Im Inneren des Turms erleuchtete ein seltsam bleiches Licht gewundene Stufen, die nach oben führten. Elric begann sie zu ersteigen, getrieben von seiner düsteren Zielstrebigkeit. Mondmatt und Shaarilla folgen ihm zögernd, auf dem Gesicht einen Ausdruck hoffnungsloser Ergebenheit.
Immer höher hinauf führten die Stufen, wanden sich in engen Kehren dem Ziel entgegen, bis sie schließlich die Kammer erreichten, die grell erleuchtet war - angefüllt mit einem vielfarbigen, funkelnden Licht, das nicht nach draußen drang, sondern sich auf den Raum beschränkte, der es beherbergte.
Blinzelnd legte Elric einen Arm vor die roten Augen, trat vor - und erblickte endlich aus zusammengekniffenen Lidern den Quell des Lichts auf einem kleinen Steinpodest in der Mitte des Raums.
Shaarilla und Mondmatt, von dem Licht gleichermaßen geblendet, folgten ihm in den Raum und reagierten ehrfürchtig auf die Szene, die sich ihnen bot.
Es war ein riesiges Buch - das Buch der Toten Götter, der Einband überkrustet von unbekannten Edelsteinen, die das seltsame Licht abstrahlten. Es funkelte, es pulsierte vor Licht
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