Der Zauberberg
einwenden können, daß er ja keineswegs erst seit gestern hier oben sei.
»Wie steht es denn mit den Stichen am rechten Hilus, wo es immer verschärft klang? Besser? Na, kommen Sie her! Wollen mal höflich bei Ihnen anklopfen.« Und die Auskultation begann.
Hofrat Behrens, breitbeinig und rückwärts geneigt, den Hörer unter dem Arme, klopfte zuerst ganz oben an Joachims rechter Schulter, klopfte aus dem Handgelenk, indem er sich des gewaltigen Mittelfingers seiner Rechten als Hammer bediente und die Linke zur Stütze gebrauchte. Dann ging er unter das Schulterblatt hinab und klopfte seitlich am mittleren und unteren Rücken, worauf Joachim, der wohlabgerichtet war, den Arm hob, um auch unter der Achsel klopfen zu lassen. Hierauf wiederholte das Ganze sich linkerseits, und damit fertig, kommandierte der Hofrat »Kehrt!« zur Beklopfung der Brustseite. Er klopfte gleich unter dem Halse beim Schlüsselbein, klopfte über und unter der Brust, zuerst rechts und dann links. Als er aber sattsam geklopft hatte, ging er zum Horchen über, indem er sein Hörrohr, das Ohr an der Muschel, auf Joachims Brust und Rücken setzte, überallhin, wo er vorhin geklopft hatte. Dabei mußte Joachim abwechselnd stark atmen und künstlich husten, was ihn sehr anzustrengen schien, denn er geriet außer Atem, und in die Augen traten ihm Tränen. {272} Hofrat Behrens aber meldete alles, was er dort innen hörte, dem Assistenten in kurzen, feststehenden Worten zum Schreibtisch hinüber, derart, daß Hans Castorp nicht umhin konnte, an den Vorgang beim Schneider zu denken, wenn der wohlgekleidete Herr einem zu einem Anzuge das Maß nimmt, in herkömmlicher Reihenfolge dem Besteller das Meterband da und dort um den Rumpf und an die Glieder legt und dem gebückt sitzenden Gehilfen die gewonnenen Ziffern in die Feder diktiert. »Kurz«, »verkürzt«, diktierte Hofrat Behrens. »Vesikulär«, sagte er, und abermals: »Vesikulär« (das war gut, offenbar). »Rauh«, sagte er und schnitt ein Gesicht. »
Sehr
rauh.« »Geräusch.« Und Dr. Krokowski trug alles ein, wie der Angestellte die Ziffern des Zuschneiders.
Hans Castorp folgte den Vorgängen seitwärts geneigten Kopfes, nachdenklich versunken in die Betrachtung von Joachims Oberkörper, dessen Rippen (gottlob war er im Besitz seiner Rippen) sich beim Schnaufen unter der gespannten Haut hoch über den zurückfallenden Magen hoben, – diesem schlanken, gelblich-brünetten Jünglingsoberkörper mit den schwarzen Haaren am Brustknochen und an den übrigens kräftigen Armen, deren einer ein goldenes Kettenarmband um das Handgelenk trug. Turnerarme sind das, dachte Hans Castorp; er hat immer gern geturnt, während ich mir nichts daraus machte, und das hing mit seiner Lust zum Soldatenstande zusammen. Immer war er gut körperlich gesinnt, viel mehr als ich, oder doch auf andere Weise; denn ich war immer ein Zivilist, und es war mir mehr um warm baden und gut essen und trinken zu tun, ihm aber um männliche Anforderungen und Leistungen. Und nun ist auf so ganz andere Weise sein Körper in den Vordergrund getreten und hat sich selbständig und wichtig gemacht, nämlich durch Krankheit. Illuminiert ist er und will sich nicht entgiften und solide werden, so gern der arme Joachim auch Soldat sein möchte im Flachland. Sieh an, {273} er ist gewachsen, wie es im Buche steht, der reine Apollo von Belvedere, bis auf die Haare. Aber innerlich ist er krank und außen zu warm vor Krankheit; denn Krankheit macht den Menschen viel körperlicher, sie macht ihn gänzlich zum Körper … Und wie er dies dachte, erschrak er und blickte rasch und forschend von Joachims bloßem Oberleib zu seinen Augen hinauf, seinen großen, schwarzen und sanften Augen, die vom künstlichen Atmen und Husten in Tränen standen und bei der Untersuchung mit traurigem Ausdruck über den Zuschauer hin ins Leere sahen.
Unterdessen aber war Hofrat Behrens zu Ende gekommen.
»Na, is gut, Ziemßen«, sagte er. »Alles in Ordnung, so weit es möglich ist. Nächstes Mal« (das war in vier Wochen), »wird es gewiß überall wieder ein bißchen besser sein.«
»Wie lange meinen Herr Hofrat, daß –«
»Wollen Sie schon wieder drängeln? Sie können Ihre Kerls doch nicht in angeheitertem Zustand kujonieren! Ein halbes Jährchen habe ich neulich gesagt, – rechnen Sie meinetwegen von neulich an, aber betrachten Sie es als Minimum. Schließlich läßt sich ja leben hier, Sie müssen auch höflich sein. Wir sind ja doch kein Bagno und
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