Der Zauberberg
kein … sibirisches Bergwerk! Oder wollen Sie sagen, daß wir mit so was Ähnlichkeit haben? Is gut, Ziemßen! Wegtreten! Weiter, wer da noch Lust hat!« rief er und sah in die Luft. Mit ausgestrecktem Arme reichte er dabei sein Hörrohr zu Dr. Krokowski hinüber, der aufstand und es ergriff, um eine kleine Assistenten-Nachprüfung bei Joachim vorzunehmen.
Auch Hans Castorp war aufgesprungen, und die Augen an die Person des Hofrats gefesselt, der, breitbeinig dastehend, offenen Mundes in Gedanken versunken schien, begann er, sich eilig in Bereitschaft zu setzen. Er überhastete sich, fand nicht gleich aus seinem punktierten Manschettenhemd heraus, als er es sich über den Kopf zog. Und dann stand er, weiß, {274} blond und schmal, vor Hofrat Behrens, – von zivilerer Bildung schien er als Joachim Ziemßen.
Aber der Hofrat ließ ihn stehen, in Gedanken noch immer. Dr. Krokowski hatte schon wieder Platz genommen und Joachim sich ans Ankleiden gemacht, als Behrens sich endlich entschloß, von dem, der da auch noch Lust hatte, Notiz zu nehmen.
»Ach so, das wären nun
Sie
!« sagte er, faßte Hans Castorp mit seiner riesigen Hand am Oberarm, rückte ihn von sich und betrachtete ihn scharf. Nicht ins Gesicht blickte er ihm, wie man einen Menschen ansieht, sondern auf den Körper; drehte ihn um, wie man einen Körper umdreht, und betrachtete auch seinen Rücken. »Hm«, sagte er. »Na, wollen mal sehen, wie Sie sich anspielen.« Und wie vorhin begann er sein Klopfen.
Er klopfte überall, wo er es bei Joachim Ziemßen getan, und kehrte zu verschiedenen Stellen mehrmals zurück. Längere Zeit klopfte er abwechselnd und zu Vergleichszwecken links oben beim Schlüsselbein und etwas weiter unten.
»Hören Sie?« fragte er dabei zu Dr. Krokowski hinüber … Und Dr. Krokowski, fünf Schritte entfernt am Schreibtisch sitzend, bekundete durch eine Kopfneigung, daß er höre: ernst senkte er das Kinn auf die Brust, so daß sein Bart eingedrückt wurde und die Spitzen sich aufwärts bogen.
»Tief atmen! Husten!« kommandierte der Hofrat, der nun das Hörrohr wieder zur Hand genommen; und Hans Castorp arbeitete schwer, wohl acht oder zehn Minuten lang, während der Hofrat ihn abhorchte. Er sprach kein Wort dabei, setzte das Hörrohr nur dahin und dorthin und horchte namentlich und wiederholt an den Punkten, wo er vorhin schon mit Klopfen verweilt hatte. Dann schob er das Instrument unter den Arm, legte die Hände auf den Rücken und blickte zwischen sich und Hans Castorp auf den Fußboden nieder.
»Ja, Castorp,« sagte er – und es geschah zum erstenmal, daß er {275} den jungen Mann einfach mit Nachnamen nannte –, »die Sache verhält sich so praeter-propter, wie ich sie mir schon immer gedacht hatte. Ich habe Sie auf dem Strich gehabt, Castorp, nun kann ichs Ihnen ja sagen, – von vornherein, schon seit ich zuerst die unverdiente Auszeichnung hatte, Sie kennenzulernen, – und ziemlich sicher vermutet, daß Sie im stillen ein Hiesiger wären und das auch noch einsehen würden, wie schon so mancher, der zum Spaß hier heraufkam und sich mit erhobener Nase umsah und eines Tages erfuhr, daß er gut täte – und nicht bloß ›gut täte‹, bitte mich wohl zu verstehen – hier ganz ohne unbeteiligte Neugiersallüre eine etwas ausgiebigere Station zu machen.«
Hans Castorp hatte sich verfärbt, und Joachim, im Begriffe, sich die Hosenträger zu knöpfen, hielt inne, wie er da eben stand, und lauschte …
»Sie haben da einen so netten, sympathischen Vetter,« fuhr der Hofrat fort, indem er mit dem Kopfe nach Joachims Seite deutete und sich dabei auf Fußballen und Absätzen schaukelte, »– der nun ja hoffentlich bald wird sagen können, daß er einmal krank
gewesen
ist, aber wenn wir so weit sind, so wird er doch eben immer noch früher einmal krank
gewesen
sein, Ihr Herr rechter Vetter, und das wirft a priori, wie der Denker sagt, so ein gewisses Licht auch auf Sie, lieber Castorp …«
»Er ist aber nur ein Stiefvetter von mir, Herr Hofrat.«
»Nanu, nanu. Sie werden doch Ihren Cousin nicht verleugnen wollen. Stief oder nicht, er bleibt doch immer ein Blutsverwandter. Von welcher Seite denn?«
»Von mütterlicher, Herr Hofrat. Er ist der Sohn einer Stief –«
»Und Ihre Frau Mama ist vergnügt?«
»Nein, sie ist tot. Sie starb, als ich noch klein war.«
»Oh, warum denn?«
»An einem Blutpfropf, Herr Hofrat.«
»Blutpfropf? Na, es ist ja schon lange her. Und Ihr Herr Vater?«
{276} »Der ist an
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