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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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während Vetter Joachim, der deren fünf auf dem Buckel gehabt hatte, als jener eingetroffen war, nun auf zwölfe zurückblickte, auf ein Jährchen also – ein rundes Jahr, – rund in dem kosmischen Sinn, daß, seit die kleine, zugkräftige Lokomotive ihn hier abgesetzt, die Erde einmal ihren Sonnenumlauf beendet hatte und zu dem Punkte von damals zurückgekehrt war. Es war Faschingszeit. Fastnacht stand vor der Tür, und Hans Castorp erkundigte sich bei dem Jährigen, wie das denn sei.
    »Magnifik!« antwortete Settembrini, dem die Vettern wieder einmal bei der Vormittagsmotion begegnet waren. »Splendide!« antwortete er. »Das ist so lustig wie im Prater, Sie werden sehen, Ingenieur. Dann sind wir gleich im Reihen hier die glänzenden Galanten«, sprach er, und fuhr dann prallen Mundes zu medisieren fort, indem er seine Hechelreden mit gelungenen Arm-, Kopf- und Schulterbewegungen begleitete: »Was wollen Sie, auch in der maison de santé finden bisweilen ja Bälle statt, für die Narren und Blöden, wie ich gelesen habe, – warum nicht auch hier? Das Programm umfaßt die verschiedensten danses macabres, wie Sie sich denken können. Leider kann ein gewisser Teil der vorjährigen Festteilnehmer diesmal nicht erscheinen, da das Fest schon um 9½ Uhr sein Ende findet …«
    »Sie meinen … Ach so, vorzüglich!« lachte Hans Castorp. »Sind Sie ein Witzbold –! ›Um 9½‹, – hast dus gehört, du? {489} Allzu früh nämlich, als daß ›ein gewisser Teil‹ der Vorjährigen noch ein Stündchen teilnehmen könnte, meint Herr Settembrini. Ha, ha, unheimlich. Das ist nämlich der Teil, der dem ›Fleisch‹ unterdessen schon endgültig valet gesagt hat. Verstehst du mein Wortspiel? Aber da bin ich denn doch gespannt«, sagte er. »Ich finde es richtig, daß wir hier so die Feste feiern, wie sie fallen, und auf die übliche Art die Etappen markieren, die Einschnitte also, damit es kein ungegliedertes Einerlei gibt, das wäre zu sonderbar. Da haben wir Weihnachten gehabt und wußten, daß Neujahr war, und nun kommt also Fastnacht. Dann rückt Palmsonntag heran (gibt es hier Kringel?), die Karwoche, Ostern und Pfingsten, was sechs Wochen später ist, und dann ist ja bald schon der längste Tag, Sommersonnenwende, verstehen Sie, und es geht auf den Herbst …«
    »Halt! halt! halt!« rief Settembrini, indem er das Gesicht gen Himmel hob und die Handteller gegen die Schläfen preßte. »Schweigen Sie! Ich verbiete Ihnen, sich in dieser Weise die Zügel schießen zu lassen!«
    »Entschuldigen Sie, ich sage ja im Gegenteil … Übrigens wird Behrens sich am Ende nun doch wohl zu den Injektionen entschließen, um meine Entgiftung zu erzielen, denn ich habe unentwegt siebenunddreißig-vier, –fünf, –sechs und auch –sieben. Das will sich nicht ändern. Ich bin und bleibe nun mal ein Sorgenkind des Lebens. Langfristig bin ich ja nicht, Radamanth hat mir nie was Bestimmtes aufgebrummt, aber er sagt, es wäre sinnlos, die Kur vor der Zeit zu unterbrechen, wo ich nun doch schon so lange hier oben bin und soviel Zeit investiert habe, sozusagen. Was nützte es auch, wenn er mir einen Termin setzte? Das hätte nicht viel zu bedeuten, denn wenn er zum Beispiel sagt: ein halbes Jährchen, so ist es sehr knapp gerechnet, man muß sich auf mehr gefaßt machen. Das sieht man an meinem Vetter, der sollte Anfang des Monats fertig sein – fertig {490} im Sinne von ausgeheilt –, aber das letztemal hat Behrens ihm vier Monate zugelegt, zu seiner völligen Ausheilung, – na, und was haben wir dann? Dann haben wir Sommersonnenwende, wie ich sagte, ohne daß ich Sie reizen wollte, und es geht wieder auf den Winter zu. Aber für den Augenblick haben wir nun freilich erst einmal Fastnacht, – Sie hören ja, ich finde es gut und schön, daß wir hier alles der Reihe nach, und wie’s im Kalender steht, begehen. Frau Stöhr sagte, daß es in der Conciergeloge Kindertrompeten zu kaufen gibt?«
    Das traf zu. Schon beim ersten Frühstück am Faschingsdienstag, der sofort da war, ehe man ihn von weitem nur recht ins Auge gefaßt, – schon in der Frühe gab es im Speisesaal allerlei Töne aus scherzhaften Blasinstrumenten, schnarrend und tutend; beim Mittagessen flogen vom Tische Gänsers, Rasmussens und der Kleefeld bereits Papierschlangen, und mehrere Personen, zum Beispiel die rundäugige Marusja, trugen papierne Kopfbedeckungen, die ebenfalls bei dem Hinkenden vorn in der Loge zu kaufen waren; aber abends entfaltete

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