Der Zauberberg
sich im Saal und in den Konversationsräumen eine Festgeselligkeit, die in ihrem Verlauf … Nur wir wissen vorderhand, wozu, dank Hans Castorps Unternehmungsgeist, diese Fastnachtsgeselligkeit in ihrem Verlaufe führte. Aber wir lassen uns durch unser Wissen nicht hin- und nicht aus unserer Bedächtigkeit reißen, sondern geben der Zeit die Ehre, die ihr gebührt, und überstürzen nichts, – vielleicht sogar zögern wir die Ereignisse hin, weil wir die sittliche Scheu des jungen Hans Castorp teilen, die den Eintritt dieser Ereignisse so lange hintangehalten hatte.
Allgemein war man nachmittags nach »Platz« gepilgert, um das Faschingsstraßenleben zu sehen. Masken waren unterwegs gewesen, Pierrotten und Harlekine, die klappernde Pritschen gehandhabt hatten, und zwischen den Fußgängern und den ebenfalls maskierten Insassen der vorüberläutenden, geschmückten Schlitten waren Konfetti-Scharmützel geliefert {491} worden. Schon sehr hochgestimmt fand man sich zur Abendmahlzeit an den sieben Tischen ein, entschlossen, den öffentlichen Geist in geschlossenem Kreise fortzupflegen. Die Papiermützen, Schnarren und Tuten des Concierge hatten starken Abgang gefunden, und Staatsanwalt Paravant hatte mit weiterer Travestierung den Anfang gemacht, indem er einen Damenkimono und einen falschen, laut vielseitigem Zuruf, der Generalkonsulin Wurmbrandt gehörigen Zopf angelegt, auch seinen Schnurrbart mit einem Brenneisen schräg nach unten gezogen hatte und so wirklich aufs Haar einem Chinesen glich. Die Verwaltung war nicht zurückgestanden. Sie hatte jeden der sieben Tische mit einem Papierlampion geschmückt, einem farbigen Mond mit brennender Kerze im Inneren, so daß Settembrini beim Eintritt in den Saal, an Hans Castorps Tische vorbeistreifend, einen auf diese Illumination bezüglichen Dichterspruch zitierte:
»Da sieh nur, welche bunten Flammen!
Es ist ein muntrer Klub beisammen«,
äußerte er mit feinem und trockenem Lächeln, indem er zu seinem Platze weiterschlenderte, um dort mit kleinen Wurfgeschossen empfangen zu werden, dünnwandigen und mit einer wohlriechenden Flüssigkeit gefüllten Kügelchen, die beim Anprall zerbrachen und den Getroffenen mit Parfüm überschütteten.
Kurzum, die Festlaune war von Anfang an sehr ausgesprochen. Gelächter herrschte, Papierschlangen, von den Kronleuchtern herabhängend, wehten im Luftzuge hin und her, in der Bratensauce schwammen Konfetti, bald sah man die Zwergin mit dem ersten Eiskübel, der ersten Champagnerflasche geschäftig vorübereilen, man mischte den Sekt mit Burgunder, wozu Rechtsanwalt Einhuf das Signal gegeben, und als nun gar gegen Ende der Mahlzeit das Deckenlicht ausging und nur {492} noch die Lampions den Speisesaal mit buntem Dämmer italienisch-nächtig erleuchteten, war die Stimmung vollkommen, und es erregte am Tische Hans Castorps viel Zustimmung, als Settembrini einen Zettel herübersandte (er händigte ihn der ihm zunächstsitzenden, mit einer Jockei-Mütze aus grünem Seidenpapier geschmückten Marusja ein), auf den er mit Bleistift geschrieben hatte:
»Allein bedenkt! Der Berg ist heute zaubertoll,
Und wenn ein Irrlicht Euch die Wege weisen soll,
So müßt Ihr’s so genau nicht nehmen.«
Doktor Blumenkohl, dem es eben wieder sehr schlecht ging, murmelte mit jenem ihm eigentümlichen Gesichts- oder eigentlich Lippenausdruck etwas vor sich hin, woraus man entnehmen konnte, was das für Verse seien. Hans Castorp seinerseits meinte die Antwort nicht schuldig bleiben zu dürfen, fühlte sich scherzhaft verpflichtet, eine Replik auf den Zettel zu schreiben, die freilich nur höchst unbedeutend hätte ausfallen können. Er suchte in seinen Taschen nach einem Bleistift, fand aber keinen und konnte auch von Joachim und der Lehrerin keinen erhalten. Seine rot geäderten Augen gingen nach Aushilfe gen Osten, in den links-rückwärtigen Winkel des Saales, und man sah, wie sein flüchtiges Vorhaben in so weitläufigen Assoziationen ausartete, daß er erbleichte und seine Grundabsicht überhaupt vergaß.
Zum Erbleichen gab es Gründe auch sonst. Frau Chauchat dort hinten hatte zur Fastnacht Toilette gemacht, sie trug ein neues Kleid, jedenfalls ein Kleid, das Hans Castorp noch nicht an ihr gesehen, – aus leichter und dunkler, ja schwarzer, nur manchmal ein wenig goldbräunlich aufschimmernder Seide, das am Halse einen mädchenhaft kleinen Rundausschnitt zeigte, kaum so tief, daß die Kehle, der Ansatz der Schlüsselbeine und hinten die bei
Weitere Kostenlose Bücher