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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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ihn. Fort possible qu’il va mourir, dachte er, und da das sicherlich eine Wissenschaft aus dritter Hand war, so mischte sich auch noch die Pein alten, nie gestillten Verdachtes hinein, während er gleichzeitig dachte: Ist es möglich, daß er mich allein hier oben läßt, – mich, der ich doch nur gekommen bin, ihn zu besuchen?! um hinzuzufügen: das wäre doch toll und schrecklich, – es wäre dermaßen toll und schrecklich, daß ich fühle, wie ich ganz kalt im Gesicht werde und mein Herz sich regellos aufführt, denn wenn ich allein hier oben zurückbleibe – und das tue ich, wenn er abreist; daß ich mit ihm fahre, ist platterdings ausgeschlossen –, dann ist es ja – aber nun steht mein Herz überhaupt still – dann ist es ja für immer und ewig, denn allein finde ich nie und nimmermehr den Weg ins Flachland zurück …
    Soweit Hans Castorps schreckhafter Gedankengang. Noch am selben Nachmittag sollte er über den Lauf der Dinge Gewißheit erlangen: Joachim erklärte sich, die Würfel fielen, es kam zu Schlag und Entscheidung.
    Nach dem Tee stiegen sie ins helle Souterrain hinab zur Monatsuntersuchung. Es war Anfang September. Beim Eintritt ins trocken durchhauchte Ordinationszimmer fanden sie Dr. Krokowski an seinem Schreibtischplatz, während der Hofrat, sehr blau im Gesicht, mit untergeschlagenen Armen an der Wand lehnte, in der einen Hand das Hörrohr, mit dem er sich gegen die Schulter klopfte. Er gähnte zur Decke empor. »Mahlzeit, Kinder!« sagte er matt und ließ auch fernerhin eine recht {627} schlaffe Laune merken, Melancholie, allgemeinen Verzicht. Wahrscheinlich hatte er geraucht. Es lagen aber auch sachliche Ärgernisse vor, von denen die Vettern schon gehört hatten, Anstaltsinterna von sattsam bekannter Art: ein junges Mädchen, Ammy Nölting mit Namen, welches, eingetreten zuerst im Herbst vorvorigen Jahres und nach neun Monaten, im August, als gesund entlassen, sich vor Ablauf des September schon wieder eingefunden hatte, weil sie sich zu Hause »nicht wohlgefühlt« habe, zum Februar abermals völlig geräuschlos befunden und dem Flachlande zurückgegeben worden war, aber seit Mitte Juli schon wieder ihren Platz am Tische der Iltis einnahm, – diese Ammy war 1 Uhr nachts mit einem Leidenden namens Polypraxios, demselben Griechen, der beim Faschingsfest durch die Wohlgestalt seiner Beine berechtigtes Aufsehen erregt hatte, einem jungen Chemiker, dessen Vater am Piräus Farbwerke besaß, in ihrem Zimmer ertappt worden und zwar durch eine von Eifersucht verstörte Freundin, die auf demselben Wege in Ammys Zimmer gelangt war wie Polypraxios, nämlich über die Balkons, und, zerrissen von Schmerz und Wut über das Wahrgenommene, ein furchtbares Geschrei erhoben, alles in Bewegung gesetzt und die Sache an die große Glocke gehängt hatte. Behrens hatte allen dreien, dem Athener, der Nölting und ihrer Freundin, die vor Leidenschaft der eigenen Ehre wenig geachtet hatte, den Laufpaß geben müssen und eben jetzt mit seinem Assistenten, bei dem übrigens Ammy sowohl wie die Verräterin in Privatbehandlung gestanden hatten, die widrige Sache durchgesprochen. Auch während der Untersuchung der Vettern fuhr er noch fort, im Tone der Schwermut und der Resignation sich darüber auszulassen; denn er war ein so fertiger Künstler der Auskultation, daß er zugleich eines Menschen Inneres belauschen, von etwas anderem reden und dem Assistenten das Erhorchte diktieren konnte.
    {628} »Ja, ja, gentlemen, die verfluchte libido!« sagte er. »Sie haben natürlich noch Ihr Vergnügen an der Chose, Ihnen kann’s recht sein. – Vesikulär. – Aber so ein Anstaltschef, der hat davon die Neese plein, das können Sie mir – Dämpfung – das können Sie mir glauben. Kann ich dafür, daß die Phthise nun mal mit besonderer Konkupiszenz verbunden ist – leichte Rauhigkeit? Ich habe es nicht so eingerichtet, aber eh’ man sich’s versieht, steht man da wie ein Hüttchenbesitzer, – verkürzt hier unter der linken Achsel. Wir haben die Analyse, wir haben die Aussprache, – ja Mahlzeit! Je mehr die Rasselbande sich ausspricht, desto lüsterner wird sie. Ich predige die Mathematik. – Besser hier, das Geräusch ist weg. – Die Beschäftigung mit der Mathematik, sage ich, ist das beste Mittel gegen die Kupidität. Staatsanwalt Paravant, der stark angefochten war, hat sich drauf geworfen, er hat es jetzt mit der Quadratur des Kreises und spürt große Erleichterung. Aber die meisten sind ja

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