Der Zauberberg
Schiffsbaumeister! Aber das ist großartig!« rief Settembrini. »Seien Sie überzeugt, daß ich das großartig finde, obgleich meine eigenen Fähigkeiten in anderer Richtung liegen.«
»Herr Settembrini ist Literat«, sagte Joachim erläuternd und etwas verlegen. »Er hat für deutsche Blätter den Nachruf für Carducci geschrieben, – Carducci, weißt du.« Und er wurde noch verlegener, da sein Vetter ihn verwundert ansah und zu sagen schien: Was weißt denn du von Carducci? Ebenso wenig wie ich, sollte ich meinen.
»Das ist richtig«, sagte der Italiener kopfnickend. »Ich hatte die Ehre, Ihren Landsleuten von dem Leben dieses großen Poeten und Freidenkers zu erzählen, als es abgeschlossen war. Ich kannte ihn, ich darf mich seinen Schüler nennen. In Bologna habe ich zu seinen Füßen gesessen. Ihm verdanke ich, was ich an Bildung und Frohsinn mein eigen nenne. Aber wir sprachen von Ihnen. Ein Schiffsbaumeister! Wissen Sie, daß Sie zusehends emporwachsen in meinen Augen? Sie sitzen da plötzlich, als der Vertreter einer ganzen Welt der Arbeit und des praktischen Genies!«
»Aber Herr Settembrini – ich bin ja eigentlich noch Student und fange erst an.«
»Gewiß, und aller Anfang ist schwer. Überhaupt, alle Arbeit ist schwer, die diesen Namen verdient, nicht wahr?«
»Ja, das weiß der Teufel!« sagte Hans Castorp, und es kam ihm von Herzen.
Settembrini zog rasch die Brauen empor.
»Sogar den Teufel rufen Sie an,« sagte er, »um das zu bekräftigen? Den leibhaftigen Satan? Wissen Sie auch, daß mein großer Lehrer eine Hymne an ihn gerichtet hat?«
»Erlauben Sie,« sagte Hans Castorp, »an den Teufel?«
»An ihn selbst. Sie wird in meiner Heimat zuweilen gesungen, bei festlichen Gelegenheiten. O salute, o Satana, o Ribel {93} lione, o forza vindice della Ragione … Ein herrliches Lied! Aber dieser Teufel war es wohl kaum, den Sie im Sinne hatten, denn er steht mit der Arbeit auf ausgezeichnetem Fuß. Der, den Sie meinten, und der die Arbeit verabscheut, weil er sie zu fürchten hat, ist vermutlich jener andere, von dem es heißt, daß man ihm nicht den kleinen Finger reichen soll –«
Das alles wirkte recht sonderbar auf den guten Hans Castorp. Italienisch verstand er nicht, und das Übrige war ihm auch nicht behaglicher. Es schmeckte nach Sonntagspredigt, obgleich es in leichtem und scherzhaftem Plauderton vorgetragen wurde. Er sah seinen Vetter an, der die Augen niederschlug, und sagte dann:
»Ach, Herr Settembrini, Sie nehmen meine Worte viel zu genau. Das mit dem Teufel war nur so eine Redewendung von mir, ich versichere Sie!«
»Irgend jemand muß Geist haben«, sagte Settembrini, indem er melancholisch in die Luft blickte. Aber sich wieder belebend, erheiternd und anmutig einlenkend fuhr er fort:
»Jedenfalls schließe ich wohl mit Recht aus Ihren Worten, daß Sie da einen ebenso anstrengenden wie ehrenvollen Beruf erwählt haben. Mein Gott, ich bin Humanist, ein homo humanus, ich verstehe nichts von ingeniösen Dingen, so aufrichtig der Respekt ist, den ich ihnen zolle. Aber vorstellen kann ich mir wohl, daß die Theorie Ihres Faches einen klaren und scharfen Kopf und seine Praxis einen ganzen Mann verlangt, – ist es nicht so?«
»Gewiß ist es so, ja, da kann ich Ihnen unbedingt zustimmen«, antwortete Hans Castorp, indem er sich unwillkürlich bemühte, ein wenig beredt zu sprechen. »Die Anforderungen sind kolossal heutzutage, man darf es sich gar nicht so klar machen, wie scharf sie sind, sonst könnte man wahrhaftig den Mut verlieren. Nein, ein Spaß ist es nicht. Und wenn man nun auch nicht der Stärkste ist … Ich bin ja hier nur zu Gaste, aber {94} der Stärkste bin ich doch auch nicht gerade, und da müßte ich lügen, wenn ich behaupten wollte, daß mir das Arbeiten so ausgezeichnet bekäme. Vielmehr nimmt es mich ziemlich mit, das muß ich sagen. Recht gesund fühle ich mich eigentlich nur, wenn ich gar nichts tue –«
»Zum Beispiel jetzt?«
»Jetzt? Oh, jetzt bin ich noch so neu hier oben, – etwas verwirrt, können Sie sich denken.«
»Ah, – verwirrt.«
»Ja, ich habe auch nicht ganz richtig geschlafen, und dann war das erste Frühstück wirklich zu ausgiebig … Ich bin ja ein ordentliches Frühstück gewöhnt, aber das heutige war doch, wie es scheint, zu kompakt für mich, too rich, wie die Engländer sagen. Kurz, ich fühle mich etwas beklommen, und besonders wollte mir heute morgen meine Zigarre nicht schmecken, – denken Sie! Das passiert
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