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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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er, die andern entweichen‹ –«
    Da Hans Castorp zu lachen anfing, lächelte auch Herr Settembrini, für den Augenblick auch von dieser Wirkung seines plastischen Wortes befriedigt.
    »Gut, lachen wir!« sagte er. »Zur Heiterkeit werden Sie mich immer bereit finden. ›Das Lachen ist ein Erglänzen der Seele‹, sagt ein Alter. Auch sind wir abgekommen – auf Dinge, die, wie ich zugebe, mit den Schwierigkeiten zusammenhängen, auf die unsere Vorarbeiten zur Herstellung des maurerischen Weltbundes stoßen, Schwierigkeiten, die namentlich das protestantische Europa entgegenstellt …« Und Herr Settembrini fuhr {781} fort, mit Wärme von dem Gedanken dieses Weltbundes zu sprechen, der von Ungarn aus ins Leben getreten und dessen zu erhoffende Verwirklichung bestimmt sei, der Freimaurerei weltentscheidende Macht zu verleihen. Er zeigte leichthin Briefe vor, die er von auswärtigen Bundesgrößen in dieser Sache empfangen, ein eigenhändiges Schreiben des schweizerischen Großmeisters, Bruder Quartier la Tente vom dreiunddreißigsten Grade, und erörterte den Plan, das Kunstidiom Esperanto zur Bundesweltsprache zu erklären. Sein Eifer erhob ihn zur Sphäre der hohen Politik, er richtete sein Auge dahin und dorthin und schätzte die Aussichten ab, die der revolutionär-republikanische Gedanke in seiner eigenen Heimat, in Spanien, in Portugal besitze. Auch mit Personen, die an der Spitze der Großloge der letztgenannten Monarchie standen, wollte er briefliche Fühlung unterhalten. Dort reiften zweifellos die Dinge der Entscheidung entgegen. Hans Castorp möge an ihn denken, wenn in allernächster Zeit da unten die Ereignisse sich überstürzen würden. Hans Castorp versprach, das zu tun.
    Es will bemerkt sein, daß diese maurerischen Plaudereien, die zwischen dem Zögling und jedem der beiden Mentoren gesondert verliefen, noch in die Zeit vor Joachims Heimkehr zu Denen hier oben gefallen waren. Die Auseinandersetzung, auf die wir nun kommen, ereignete sich schon während seiner Wiederanwesenheit und in seiner Gegenwart, neun Wochen nach seiner Rückkehr, Anfang Oktober, und Hans Castorp behielt dies Beisammensein in der Herbstsonne vor dem Kurhaus in »Platz«, bei erfrischenden Getränken, darum allezeit so genau im Gedächtnis, weil Joachim ihm damals heimliche Sorge gemacht hatte, – Sorge durch Angaben und Erscheinungen, die sonst eben keine Sorge einzuflößen pflegen, nämlich durch Halsschmerzen und Heiserkeit: harmlose Belästigungen also, die aber dem jungen Castorp in einem irgendwie eigentümlichen Licht erschienen, – eben dem Licht, so kann man sagen, {782} das er in der Tiefe von Joachims Augen zu gewahren glaubte, diesen Augen, die immer sanft und groß gewesen waren, heute aber, genau erst heute, eine gewisse unbestimmbare Vergrößerung und Vertiefung von sinnendem und – man muß das sonderbare Wort hinzufügen –
drohendem
Ausdruck nebst jener erwähnten stillen Erleuchtung von innen her erfahren hatten, die ganz falsch gekennzeichnet wäre, wenn man sagte, sie hätte Hans Castorp nicht gefallen, – im Gegenteil, sie gefiel ihm sogar sehr gut, nur daß sie ihm dennoch Sorge machte. Und kurz, es ist über diese Eindrücke gar nicht anders als verworren, ihrem eigenen Charakter gemäß, zu reden.
    Das Gespräch, die Kontroverse – natürlich eine Kontroverse zwischen Naphta und Settembrini – angehend, so war sie eine Sache für sich und stand mit jenen Sondererörterungen über das Logenwesen nur in lockerem Zusammenhang. Außer den Vettern waren auch Ferge und Wehsal dabei zugegen, und aller Teilnahme war groß, obgleich nicht alle dem Gegenstande gewachsen waren, – Herr Ferge zum Beispiel war es ausdrücklich nicht. Aber ein Streit, der geführt wird, als ob es ums Leben ginge, außerdem aber mit einem Witz und Schliff, als ob es
nicht
ums Leben, sondern nur um ein elegantes Wettspiel ginge – und so wurden alle Dispute zwischen Settembrini und Naphta geführt –: ein solcher Streit ist selbstverständlich und an und für sich unterhaltend anzuhören, auch für den, der wenig davon versteht und seine Tragweite nur undeutlich absieht. Sogar ganz Unzugehörige, Umsitzende lauschten dem Wortwechsel mit hohen Augenbrauen, gefesselt von Leidenschaft und Zierlichkeit der Wechselrede.
    Es war, wie gesagt, vor dem Kurhause, nachmittags nach dem Tee. Die vier Berghofgäste hatten Settembrini dort getroffen, und von ungefähr hatte Naphta sich zugesellt. Sie saßen alle um ein

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