Der Zauberberg
jetzt wieder über Natur, Tugend, Mäßigung und Vaterland. Ich nehme an: auch über das Geschäft. Mit einem Wort, es ist die bourgeoise Misere in Klubgestalt …«
»Schade. Schade um die Rosenfeste. Ich werde Settembrini fragen, ob er denn gar nichts mehr davon weiß.«
»Der ehrliche Ritter vom Winkelmaß!« höhnte Naphta. »Sie müssen bedenken, daß es ihm gar nicht leicht geworden ist, zum Bauplatz des Menschheitstempels zugelassen zu werden, denn er ist ja arm wie eine Kirchenmaus, und dort wird nicht nur höhere Bildung, humanistische Bildung, ich bitte sehr, verlangt, sondern man muß auch der bemittelten Klasse angehören, um die nicht geringen Aufnahmegebühren und Jahresbeiträge erschwingen zu können. Bildung und Besitz, – da haben Sie den Bourgeois! Da haben Sie die Grundfesten der liberalen Weltrepublik!«
»Allerdings,« lachte Hans Castorp; »da haben wir sie klipp und klar vor Augen.«
{774} »Dennoch,« setzte Naphta nach einer Pause hinzu, »möchte ich Ihnen raten, diesen Mann und seine Sache nicht allzu leicht zu nehmen, möchte Sie, da wir denn einmal von diesen Verhältnissen reden, geradezu ersuchen, auf Ihrer Hut zu sein. Das Abgeschmackte ist noch nicht gleichbedeutend mit dem Unschuldigen. Die Beschränktheit braucht nicht harmlos zu sein. Diese Leute haben viel Wasser in ihren Wein getan, der zuzeiten feurig war, aber die Idee des Bundes selbst bleibt stark genug, um viel Verwässerung zu vertragen; sie bewahrt Reste von fruchtbarem Geheimnis, und es ist ebensowenig daran zu zweifeln, daß die Logen ihre Hand im Weltspiel haben, wie daß man in diesem liebenswürdigen Herrn Settembrini mehr zu sehen hat, als eben nur ihn selbst, daß Mächte hinter ihm stehen, deren Verwandter und Emissär er ist …«
»Ein Emissär?«
»Nun ja, ein Proselytenmacher, ein Seelenfänger.«
Und was bist du für ein Emissär? dachte Hans Castorp. Laut sagte er:
»Danke, Professor Naphta. Aufrichtig verbunden für Wink und Warnung. Wissen Sie was? Ich gehe nun mal eine Etage höher, soweit da oben noch von Etage die Rede sein kann, und fühle dem vermummten Bundesbruder ein bißchen auf den Zahn. Ein Lehrling muß wißbegierig und furchtlos sein … Natürlich auch vorsichtig … Mit Emissären ist selbstverständlich Vorsicht geboten.«
Er durfte ungescheut auch Settembrini um weitere Belehrung ansprechen, denn dieser hatte Herrn Naphta in Dingen der Diskretion nichts vorzuwerfen und war übrigens nie sonderlich bedacht gewesen, aus seiner Zugehörigkeit zu jener harmonischen Gesellschaft ein Geheimnis zu machen. Die »Rivista della Massoneria Italiana« lag offen auf seinem Tisch; Hans Castorp hatte nur eben nicht acht darauf gegeben. Und als er, von Naphta aufgeklärt, das Gespräch auf die königliche {775} Kunst gebracht hatte, so, als sei Settembrinis Verbundenheit mit ihr eine Sache, über die er sich niemals Zweifel gemacht, da war er nur auf geringe Zurückhaltung gestoßen. Zwar gab es Punkte, über die der Literat sich nicht herausließ, sondern bei deren Berührung er mit einer gewissen Ostentation die Lippen verschloß, offenbar gebunden durch jene terroristischen Gelöbnisse, von denen Naphta gesprochen: eine Geheimniskrämerei, die äußere Bräuche und seine eigene Stellung innerhalb der merkwürdigen Organisation betraf. Sonst aber nahm er sogar den Mund sehr voll und gab dem Neugierigen ein bedeutendes Bild von der Ausbreitung seiner Liga, die sich in rund zwanzigtausend Logen und hundertfünfzig Großlogen fast über die ganze Welt und selbst auf Zivilisationen wie Haiti und die Negerrepublik Liberia erstrecke. Auch wußte er sich nicht wenig mit allerlei großen Namen, deren Träger Maurer gewesen waren oder es heute waren, nannte Voltaire, Lafayette und Napoleon, Franklin und Washington, Mazzini und Garibaldi, von Lebenden sogar den König von England und außerdem eine Menge Männer, in deren Händen die Geschäfte der europäischen Staaten lagen, Mitglieder von Regierungen und Parlamenten.
Hans Castorp äußerte Respekt, aber keine Verwunderung. So sei es auch mit den studentischen Korpsverbindungen, meinte er. Die hielten auch zusammen durchs ganze Leben und wüßten ihre Leute wohl unterzubringen, so daß schwerlich jemand im Amtlich-Hierarchischen es zu etwas Rechtem bringe, der nicht Korpsbruder gewesen sei. Darum sei es vielleicht nicht ganz sinngemäß von Herrn Settembrini, daß er die Zugehörigkeit jener Prominenten zur Loge als schmeichelhaft für diese
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