Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
zuckenden Lippen:
    »Ich danke sehr, Herr Hofrat. Ich weiß ja nun auch wohl Bescheid, denn ich nehme an, daß Sie nicht so – wie soll ich sagen – so feierlich zu mir sprechen würden, wenn es nicht ernst wäre mit Joachim. Ich bin auch gar nicht für Szenen und für Geschrei, da tun Sie mir unrecht. Und wenn es also auf Diskretion ankommt, so stehe ich auch meinen Mann, das glaube ich zusagen zu können.«
    »Sie hängen an Ihrem Vetter, Hans Castorp?« fragte der Hofrat, indem er plötzlich des jungen Mannes Hand ergriff und ihn mit seinen blauen, weißlich bewimperten, blutunterlaufenen Quellaugen von unten anblickte …
    »Was läßt sich da sagen, Herr Hofrat. Ein so naher Verwandter und so guter Freund und mein Kamerad hier oben.« Hans Castorp schluchzte kurz und stellte den einen Fuß auf die Spitze, indem er die Ferse nach außen wandte.
    Der Hofrat beeilte sich, seine Hand loszulassen.
    »Na, dann seien Sie nett mit ihm diese sechs, acht Wochen«, sagte er. »Überlassen Sie sich Ihrer angeborenen Harmlosigkeit, das wird ihm das liebste sein. Ich bin auch noch da, und zwar dazu, die Sache so kavaliersmäßig und komfortabel wie möglich zu gestalten.«
    »Larynx, nicht wahr?« sagte Hans Castorp, indem er dem Hofrat zunickte.
    »Laryngea«, bestätigte Behrens. »Schnell fortschreitende Zerstörung. Und mit der Luftröhrenschleimhaut sieht es auch schon böse aus. Kann sein, daß das Kommandogeschrei im Dienst da einen locus minoris resistentiae geschaffen hat. Aber gefaßt sein müssen wir auf solche Diversionen ja immer. Wenig Aussicht, mein Junge; eigentlich wohl gar keine. Selbstverständlich soll alles versucht werden, was gut und teuer ist.«
    {800} »Die Mutter …«, sagte Hans Castorp.
    »Später, später. Eilt ja noch nicht. Sorgen Sie mit Takt und Geschmack dafür, daß sie sukzessive ins Bild kommt. Und nun scheren Sie sich auf Ihren Posten. Er merkt es ja. Und es muß ihm doch peinlich sein, sich so hinter seinem Rücken besprochen zu wissen.«
    - Täglich ging Joachim zum Pinseln. Es war ein schöner Herbst, in weißen Flanellhosen zum blauen Rock kam er öfters verspätet von der Behandlung zum Essen, proper und militärisch, grüßte knapp, freundlich und männlich zusammengenommen, indem er seiner Säumigkeit wegen um Pardon bat, und setzte sich zu seiner Mahlzeit nieder, die man ihm jetzt besonders bereitete, da er bei der gewöhnlichen Kost, der Verschluckungsgefahr wegen, nicht mitkam: er erhielt Suppen, Haschees und Brei. Schnell hatten die Tischgenossen die Lage begriffen. Sie erwiderten seinen Gruß mit nachdrücklicher Höflichkeit und Wärme, indem sie ihn »Herr Leutnant« anredeten. In seiner Abwesenheit befragten sie Hans Castorp, und auch von den anderen Tischen kam man zu ihm und fragte. Frau Stöhr kam mit gerungenen Händen und lamentierte ungebildet. Aber Hans Castorp antwortete nur einsilbig, räumte den Ernst des Zwischenfalles ein, leugnete jedoch bis zu einem gewissen Grade, tat es ehrenhalber, aus dem Gefühle, Joachim nicht vorzeitig preisgeben zu dürfen.
    Sie gingen zusammen spazieren, legten dreimal täglich den dienstlichen Lustwandel zurück, auf welchen der Hofrat Joachim nun genauestens eingeschränkt hatte, damit unnötige Kräfteausgabe vermieden werde. Links von seinem Vetter ging Hans Castorp, – sie waren früher so oder auch anders gegangen, wie es gerade kam, aber jetzt hielt sich Hans Castorp vorwiegend links. Sie sprachen nicht viel, redeten die Worte, die der Berghof-Normaltag ihnen auf die Lippen führte, sonst nichts. Über das Thema, das zwischen ihnen stand, ist nichts zu reden, {801} zumal zwischen Leuten von Sittensprödigkeit, die einander nur äußerstenfalls mit Vornamen nennen. Dennoch hob es sich zuweilen drängend und wallend auf in Hans Castorps Zivilistenbrust, im Begriffe, sich zu ergießen. Aber es war unmöglich. Was schmerzlich-stürmisch emporgeschwollen war, sank zurück, und er verstummte.
    Joachim ging gebeugten Kopfes neben ihm. Er sah zu Boden, als betrachtete er die Erde. Es war so merkwürdig: er ging hier, proper und ordentlich, er grüßte Vorübergehende auf seine ritterliche Art, hielt auf sein Äußeres und auf bienséance wie immer – und gehörte der Erde. Nun, der gehören wir alle über kurz oder lang. Aber so jung und mit so gutem, freudigem Willen zum Dienst bei der Fahne ganz kurzfristig ihr zu gehören, das ist doch bitter: noch bitterer und unbegreiflicher für einen wissend nebenhergehenden Hans

Weitere Kostenlose Bücher