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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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werde »alles gut« sein, wurde nicht so ganz klar; – die Neigung seines Zustandes zum Zweideutigen trat auffallend hervor, er äußerte mehr als einmal Doppelsinniges, schien zu wissen und nicht zu wissen und erklärte einmal, offenbar von Vernichtungsgefühl durchschauert, mit Kopfschütteln und einer gewissen Zerknirschung: so grundschlecht sei er noch niemals daran gewesen.
    Dann wurde sein Wesen ablehnend, streng-unverbindlich, ja unhöflich; er ließ sich keine Fiktionen und Beschönigungen mehr nahe kommen, antwortete nicht darauf, blickte fremd vor sich hin. Namentlich nachdem der junge Pfarrer, den Luise Ziemßen berufen, und der zu Hans Castorps Bedauern keine gestärkte Krause, sondern nur Bäffchen getragen hatte, mit ihm gebetet, nahm seine Haltung amtlich-dienstliches Gepräge an, äußerte er Wünsche nur in Form kurzer Befehlsworte.
    {811} Um 6 Uhr nachmittags begann er ein eigentümliches Tun: er fuhr wiederholt mit der rechten Hand, um deren Gelenk sein goldnes Kettenarmband lag, in der Gegend der Hüfte über die Bettdecke hin, indem er sie auf dem Rückwege etwas erhob und dann auf der Decke in schabender, rechender Bewegung wieder zu sich führte, so, als zöge und sammle er etwas ein.
    Um 7 Uhr starb er, – Alfreda Schildknecht befand sich auf dem Korridor, nur Mutter und Vetter waren zugegen. Er war im Bette herabgesunken und befahl kurz, man möge ihn höher stützen. Während Frau Ziemßen, den Arm um seine Schultern, der Anordnung nachkam, äußerte er mit einer gewissen Hast, er müsse sofort ein Gesuch um Verlängerung seines Urlaubes aufsetzen und einreichen, und indem er es sagte, vollzog sich der »knappe Übertritt«, – von Hans Castorp im Lichte des rotumhüllten Tischlämpchens mit Andacht verfolgt. Sein Auge brach, die unbewußte Anstrengung seiner Züge wich, die Mühsalsschwellung der Lippen schwand zusehends dahin, Verschönung zu frühmännlicher Jugendlichkeit breitete sich über unseres Joachims verstummtes Antlitz, und so war’s geschehen.
    Da Luise Ziemßen sich schluchzend abgewandt hatte, war es Hans Castorp, der dem Regungs- und Hauchlosen mit der Spitze des Ringfingers die Lider schloß, ihm die Hände behutsam auf der Decke zusammenlegte. Dann stand auch er und weinte, ließ über seine Wangen die Tränen laufen, die den englischen Marineoffizier dort so gebrannt hatten, – dies klare Naß, so reichlich-bitterlich fließend überall in der Welt und zu jeder Stunde, daß man das Tal der Erden poetisch nach ihm benannt hat; dies alkalisch-salzige Drüsenprodukt, das die Nervenerschütterung durchdringenden Schmerzes, physischen wie seelischen Schmerzes, unserem Körper entpreßt. Er wußte, es sei auch etwas Muzin und Eiweiß darin.
    Der Hofrat kam, von Schwester Berta benachrichtigt. Noch {812} vor einer halben Stunde war er dagewesen und hatte Kampfer gespritzt; nur eben den Augenblick des knappen Übertrittes hatte er verpaßt. »Tja, der hat es hinter sich«, sagte er schlicht, indem er sich mit seinem Hörrohr von Joachims stiller Brust aufrichtete. Und er drückte den beiden Anverwandten die Hände, indem er ihnen zunickte. Danach stand er noch eine Weile mit ihnen zusammen am Bett, Joachims unbewegliches, kriegerbärtiges Antlitz betrachtend. »Toller Junge, toller Kerl«, sagte er über die Schulter, indem er mit dem Kopf auf den Ruhenden wies. »Hat es zwingen wollen, wissen Sie, – natürlich war alles Zwang und Gewaltsamkeit mit seinem Dienst da unten, – febril hat er Dienst gemacht auf Biegen und Brechen. Feld der Ehre, verstehen Sie, – ist uns aufs Feld der Ehre echappiert, der Durchgänger. Aber die Ehre, das war der Tod für ihn, und der Tod – Sie könnens nach Belieben auch umdrehen, – er hat nun jedenfalls ›Habe die Ehre!‹ gesagt. Toller Bengel das, toller Kerl.« Und er ging ab, lang und gebückt, mit heraustretendem Nacken.
    Joachims Überführung in die Heimat war beschlossene Sache, und Haus Berghof sorgte für alles, was dazu erforderlich war und sonst schicklich und stattlich schien, – Mutter und Vetter brauchten sich kaum zu regen. Am nächsten Tage, in seinem seidenen Manschettenhemd, Blumen auf der Decke, ruhend in matter Schneehelligkeit, war Joachim noch schöner geworden als unmittelbar nach dem Übertritt. Jede Spur der Anstrengung war nun aus seinem Gesicht gewichen; erkaltet, hatte es sich zu reinster, schweigender Form befestigt. Kurzes Gekräusel seines dunklen Haares fiel in die unbewegliche, gelbliche

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