Der Zauberberg
mir so gut wie nie, nur, wenn ich ernstlich krank bin, – und nun schmeckte sie mir heute wie Leder. Ich mußte sie wegwerfen, es hatte keinen Zweck, daß ich es forcierte. Sind Sie Raucher, wenn ich fragen darf? Nicht? Dann können Sie sich nicht vorstellen, was für ein Ärger und eine Enttäuschung das für jemanden ist, der von Jugend auf so besonders gern raucht, wie ich …«
»Ich bin ohne Erfahrung auf diesem Gebiet,« erwiderte Settembrini, »und befinde mich übrigens mit dieser Unerfahrenheit in keiner schlechten Gesellschaft. Eine Reihe von edlen und nüchternen Geistern haben den Rauchtabak verabscheut. Auch Carducci liebte ihn nicht. Aber da werden Sie bei unserem Radamanth Verständnis finden. Er ist ein Anhänger Ihres Lasters.«
»Nun, – Laster, Herr Settembrini …«
»Warum nicht? Man muß die Dinge mit Wahrheit und Kraft bezeichnen. Das verstärkt und erhöht das Leben. Auch ich habe Laster.«
{95} »Und Hofrat Behrens ist also Zigarrenkenner? Ein reizender Mann.«
»Sie finden? Ah, Sie haben also schon seine Bekanntschaft gemacht?«
»Ja, vorhin, als wir fortgingen. Es war beinahe so etwas wie eine Konsultation, aber sine pecunia, wissen Sie. Er sah gleich, daß ich ziemlich anämisch bin. Und dann riet er mir, hier ganz so zu leben, wie mein Vetter, viel auf dem Balkon zu liegen, und messen soll ich mich auch gleich mit, hat er gesagt.«
»Wahrhaftig?« rief Settembrini … »Vorzüglich!« rief er nach oben in die Luft hinein, indem er sich lachend zurückneigte. »Wie heißt es doch in der Oper Ihres Meisters? ›Der Vogelfänger bin ich ja, stets lustig, heisa, hopsassa!‹ Kurz, das ist sehr amüsant. Sie werden seinen Rat befolgen? Zweifelsohne. Wie sollten Sie nicht. Ein Satanskerl, dieser Radamanth! Und wirklich ›stets lustig‹, wenn auch zuweilen ein wenig gezwungen. Er neigt zur Schwermut. Sein Laster bekommt ihm nicht – sonst wäre es übrigens kein Laster –, der Rauchtabak macht ihn schwermütig, – weshalb unsere verehrungswürdige Frau Oberin die Vorräte in Verwahrung genommen hat und ihm nur kleine Tagesrationen zuteilt. Es soll vorkommen, daß er der Versuchung unterliegt, sie zu bestehlen, und dann verfällt er der Schwermut. Mit einem Wort: eine verworrene Seele. Sie kennen auch unsere Oberin schon? Nicht? Aber das ist ein Fehler! Sie tun unrecht, sich nicht um ihre Bekanntschaft zu bewerben. Aus dem Geschlechte derer von Mylendonk, mein Herr! Von der mediceischen Venus unterscheidet sie sich dadurch, daß sie dort, wo sich bei der Göttin der Busen befindet, ein Kreuz zu tragen pflegt …«
»Ha, ha, ausgezeichnet!« lachte Hans Castorp.
»Mit Vornamen heißt sie Adriatica.«
»Auch das noch?« rief Hans Castorp … »Hören Sie, das ist merkwürdig! Von Mylendonk und dann Adriatica. Es klingt, {96} als müßte sie längst gestorben sein. Geradezu mittelalterlich mutet es an.«
»Mein geehrter Herr,« antwortete Settembrini, »hier gibt es manches, was ›mittelalterlich anmutet‹, wie Sie sich auszudrücken belieben. Ich für meine Person bin überzeugt, daß unser Radamanth einzig und allein aus künstlerischem Stilgefühl dieses Petrefakt zur Oberaufseherin seines Schreckenspalastes gemacht hat. Er ist nämlich Künstler, – das wissen Sie nicht? Er malt in Öl. Was wollen Sie, das ist nicht verboten, nicht wahr, es steht jedem frei … Frau Adriatica sagt es jedem, der es hören will, und den andern auch, daß eine Mylendonk Mitte des dreizehnten Jahrhunderts Äbtissin eines Stiftes zu Bonn am Rheine war. Sie selbst kann nicht lange nach diesem Zeitpunkt das Licht der Welt erblickt haben …«
»Ha, ha, ha! Ich finde Sie aber spöttisch, Herr Settembrini.«
»Spöttisch? Sie meinen: boshaft. Ja, boshaft bin ich ein wenig –«, sagte Settembrini. »Mein Kummer ist, daß ich verurteilt bin, meine Bosheit an so elende Gegenstände zu verschwenden. Ich hoffe, Sie haben nichts gegen die Bosheit, Ingenieur? In meinen Augen ist sie die glänzendste Waffe der Vernunft gegen die Mächte der Finsternis und der Häßlichkeit. Bosheit, mein Herr, ist der Geist der Kritik, und Kritik bedeutet den Ursprung des Fortschrittes und der Aufklärung.« Und im Nu begann er von Petrarca zu reden, den er den »Vater der Neuzeit« nannte.
»Wir müssen nun aber in die Liegekur«, sagte Joachim besonnen.
Der Literat hatte seine Worte mit anmutigen Handbewegungen begleitet. Nun rundete er dies Gestenspiel mit einer Gebärde ab, die auf Joachim hinwies, und
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