Der Zauberberg
amalgamiert hat, und das kann man eben nicht, – was hätte man davon, zu sterben? Nachher, – mit Vergnügen. In ihren Armen, – herzlich gern. Aber vorher, das ist Unsinn, denn das Leben, das ist das Verlangen, und das Verlangen das Leben, und kann nicht gegen sich selber sein, das ist die gottverfluchte Zwickmühle. Und wenn ich sage ›gottverflucht‹, so sage ich es auch nur redensartlich und so, als ob ich ein anderer wäre, ich selber kann es nicht meinen. Es gibt so manche Torturen, Castorp, und wer auf einer Tortur ist, der will davon los, will einfach und unbedingt davon los, das ist sein Ziel. Aber von der Tortur der Fleischesbegierde kann man einzig und allein loswollen auf dem Wege und unter der Bedingung, daß sie gestillt wird, – sonst nicht, sonst um keinen Preis! Das ist die Einrichtung, und wen es nicht hat, der hält sich nicht weiter dabei auf, aber wen es hat, der lernt unsern Herrn Jesum Christum kennen, dem gehen die Augen über. Gott im Himmel, was {934} für eine Einrichtung und Angelegenheit ist es doch, daß das Fleisch so nach dem Fleische begehrt, nur, weil es nicht das eigene ist, sondern einer fremden Seele gehört, – wie sonderbar und, recht besehen, wie anspruchslos auch wieder in seiner verschämten Freundlichkeit! Man könnte sagen: Wenn es weiter nichts will, in Gottes Namen, es sei ihm gewährt! Was will ich denn, Castorp? Will ich sie morden? Will ich ihr Blut vergießen? Ich will sie ja nur liebkosen! Castorp, lieber Castorp, entschuldigen Sie, daß ich winsele, aber sie könnte mir in Gottes Namen zu Willen sein! Es ist doch auch was Höheres dabei, Castorp, ich bin doch kein Vieh, in meiner Art bin ich doch auch ein Mensch! Die Fleischesbegierde gehet dahin und dorthin, sie ist nicht gebunden und nicht fixiert, und darum so heißen wir sie viehisch. So sie aber fixiert ist auf eine Menschenperson mit einem Angesicht, alsdann so redet unser Mund von der Liebe. Mich verlangt doch nicht bloß nach ihrem Körperrumpf und nach der Fleischpuppe ihres Leibes, sondern wenn in ihrem Angesicht auch nur ein kleines Etwas anders gestaltet wäre, siehe, so verlangte mich’s möglicherweise nach ihrem ganzen Leibe gar nicht, und daher so zeiget sich’s, daß ich ihre Seele liebe, und daß ich sie mit der Seele liebe. Denn die Liebe zum Angesicht ist Seelenliebe …«
»Wie ist Ihnen denn, Wehsal? Sie sind ja ganz außer sich und schlagen hier Gott weiß was für Töne an …«
»Aber das ist es ja eben, das ist ja auch eben wieder das Unglück,« fuhr der Arme fort, »daß sie eine Seele hat, daß sie ein Mensch ist aus Leib und Seele! Denn ihre Seele will nichts von der meinen wissen und also ihr Leib nichts von meinem, o Jammer und große Not, und um dessentwillen ist mein Verlangen zur Schande verdammt, und mein Leib muß sich winden ewiglich! Warum will sie mit Leib und Seele nichts wissen von mir, Castorp, und warum ist mein Verlangen ihr ein Greuel?! Bin ich denn kein Mann? Ist ein widerwärtiger Mann kein {935} Mann? Ich bin es sogar im höchsten Grade, ich schwöre Ihnen, ich würde alles Dagewesene überbieten, wenn sie mir das Wonnereich ihrer Arme eröffnete, die so schön sind, weil sie zu ihrem Seelenangesicht gehören! Ich würde ihr alle Wollust der Welt antun, Castorp, wenn es sich nur um die Leiber handelte und nicht auch um die Angesichte, wenn ihre verfluchte Seele nicht wäre, die nichts von mir wissen will, und ohne die mich aber auch wieder nach ihrem Leibe gar nicht verlangen täte, – das ist des Teufels beschissene Zwickmühle, in der ich mich winde ewiglich!«
»Wehsal, pst! leise doch! Der Kutscher versteht Sie ja! Er bewegt zwar absichtlich den Kopf nicht, aber ich sehe es doch seinem Rücken an, daß er zuhört.«
»Er versteht und hört zu, da haben Sie’s, Castorp! Da haben Sie wieder die Einrichtung und Angelegenheit in ihrer Eigenart und ihrem Charakter! Wenn ich von Palingenesie spräche oder von … Hydrostatik, so würde er’s nicht verstehen und hätte nicht eine Ahnung und hörte nicht zu und interessierte sich gar nicht. Denn das ist nicht populär. Aber die höchste und letzte und schauerlich heimlichste Angelegenheit, die Angelegenheit vom Fleische und von der Seele, siehe, die ist zugleich die populärste Angelegenheit, und jeder versteht sie und kann sich lustig machen über den, den es hat, und dem es den Tag zur Lustfolter macht und die Nacht zur Schandhölle! Castorp, lieber Castorp, lassen Sie mich etwas winseln, denn
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