Der Zauberberg
Ellbogen und sprach:
»Junger Mann, ich habe gehört, und ich bin nun im Bilde. Erlauben Sie mir auf Grund Ihrer Mitteilungen eine loyale Erklärung! Wäre mein Haar nicht bleich und wäre ich nicht mit malignem Fieber geschlagen, so sähen Sie mich bereit, Ihnen von Mann zu Mann, die Waffe in der Hand, Genugtuung zu geben für die Unbill, die ich Ihnen unwissentlich angetan, und zugleich für diejenige, die meine Reisebegleiterin Ihnen zugefügt, und für die ich ebenfalls aufzukommen habe. Perfekt, mein Herr, – Sie sähen mich bereit. Wie aber die Dinge liegen, so erlauben Sie mir, einen anderen Vorschlag dafür einzusetzen. Es ist der folgende. Ich erinnere mich eines gehobenen Augenblicks, gleich zu Anfang unserer Bekanntschaft, – ich erinnere mich daran, obgleich ich damals dem Weine stark zugesprochen hatte –, eines Augenblicks also, da ich, angenehm berührt von Ihrem Naturell, im Begriffe stand, Ihnen das brüderliche Du anzubieten, mich aber dann der Einsicht nicht entzog, daß es ein etwas übereilter Schritt gewesen wäre. Gut, ich beziehe mich heute auf diesen Augenblick, ich komme auf {927} ihn zurück, ich erkläre den damals beschlossenen Aufschub für abgelaufen. Junger Mann, wir sind Brüder, ich erkläre uns dafür. Sie sprachen von einem Du vollen Sinnes, – auch das unsrige wird vollen Sinn haben, den Sinn der Brüderlichkeit im Gefühl. Die Genugtuung, die Ihnen mit der Waffe zu geben, Alter und Unpäßlichkeit mich hindern, ich biete sie Ihnen in dieser Form, ich biete sie Ihnen in Form eines Bruderbundes, wie man ihn sonst wohl gegen Dritte, gegen die Welt, gegen jemanden schließt, und den wir im Gefühl für jemanden schließen wollen. Nehmen Sie Ihr Weinglas, junger Mann, während ich wieder zu meinem Wasserglas greife, durch das diesem Sauserchen weiter kein Unrecht geschieht –«
Und mit leicht zitternder Kapitänshand füllte er die Gläser, wobei Hans Castorp ihm in ehrerbietiger Bestürzung behilflich war.
»Nehmen Sie!« wiederholte Peeperkorn. »Kreuzen Sie den Arm mit mir! Und trinken Sie auf diese Weise! Trinken Sie aus! – Perfekt, junger Mann. Erledigt. Hier meine Hand. Bist du zufrieden?«
»Das ist natürlich gar kein Ausdruck, Mynheer Peeperkorn«, sagte Hans Castorp, dem es etwas schwer gefallen war, das volle Glas in einem Zuge auszutrinken, und trocknete seine Knie mit dem Taschentuch, da Wein darauf hinabgeflossen war. »Ich bin hoch beglückt, will ich lieber sagen, und kann es noch gar nicht fassen, wie mir das so auf einmal zuteil geworden, – es ist mir, offen gestanden, wie im Traum. Das ist eine gewaltige Ehre für mich, – ich weiß nicht, wie ich sie verdient haben soll, höchstens auf passive Weise, auf andere gewiß nicht, und man darf sich nicht wundern, wenn es mich anfangs abenteuerlich anmutet, die neue Anrede über die Lippen zu bringen, wenn ich darüber stolpere, – zumal in Clawdias Gegenwart, die vielleicht nach Frauenart nicht ganz einverstanden sein wird mit diesem Arrangement …«
{928} »Laß das meine Sache sein«, erwiderte Peeperkorn, »und das andere Sache der Übung und Gewohnheit! Und nun geh, junger Mann! Verlasse mich, mein Sohn! Es ist dunkel, der Abend ist völlig hereingebrochen, unsere Geliebte kann jeden Augenblick zurückkehren, und eine Begegnung zwischen euch wäre eben jetzt vielleicht nicht das Schicklichste.«
»Lebe wohl, Mynheer Peeperkorn!« sagte Hans Castorp und stand auf. »Sie sehen, ich überwinde meine berechtigte Scheu und übe mich schon in der tollkühnen Anrede. Richtig, es ist ja finster geworden! Ich könnte mir vorstellen, daß plötzlich Herr Settembrini hereinkäme und das Licht andrehte, damit Vernunft und Gesellschaftlichkeit Platz griffen, – er hat nun einmal die Schwäche. Auf morgen! Ich gehe dermaßen vergnügt und stolz von hier fort, wie ich es mir nicht im entferntesten hätte träumen lassen. Recht gute Besserung! Es kommen nun mindestens drei fieberfreie Tage für dich, an denen Sie allen Anforderungen gewachsen sein werden. Das freut mich, als ob ich Du wäre. Gute Nacht!«
Mynheer Peeperkorn (Schluß)
Ein Wasserfall ist immer ein anziehendes Ausflugsziel, und kaum wissen wir es zu rechtfertigen, daß Hans Castorp, der für fallendes Wasser sogar eine besondere Herzensneigung hegte, die malerische Kaskade im Walde des Flüelatals noch niemals besucht hatte. Für die Zeit seines Zusammenlebens mit Joachim mochte er entschuldigt sein durch die strenge Dienstlichkeit
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