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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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demokratisch-distinkten Geplauders oder auch Disputes abgeschnitten sah, warf mit jener Gebärde der Verzweiflung und der Resignation die Hand über den Kopf. Der Malaie beeilte sich, die Anordnung seines Gebieters zu vollziehen. Es waren zwei Klappsessel da, die er für Mynheer und Madame an der Felsenwand aufschlug. Dann breitete er zu ihren Füßen auf einem Tuche den Inhalt des Korbes aus: Kaffeegeschirr und Gläser, Thermosflaschen, Gebäck und Wein. Man drängte sich zur Verteilung. Dann saß man auf Geröllsteinen, auf dem Geländer des Steges, die Tasse mit heißem Kaffee in Händen, den Teller mit Kuchen auf den Knien, und vesperte schweigend im Getöse.
    Peeperkorn, mit hochgeschlagenem Mantelkragen, den Hut neben sich am Boden, trank Portwein aus einem silbernen Becher mit Monogramm, den er mehrmals leerte. Und plötzlich begann er zu sprechen. Der wunderliche Mann! Es war unmöglich, daß er seine eigene Stimme hörte, geschweige daß die anderen eine Silbe hätten verstehen können von dem, was er verlauten ließ, ohne daß es verlautete. Er aber erhob den Zei {941} gefinger, streckte, den Becher in der Rechten, den linken Arm aus, die flache Hand schräg erhoben, und man sah, wie sein Königsantlitz sich redend bewegte, sein Mund Worte formte, die tonlos blieben, als würden sie in luftleerem Raum gesprochen. Niemand dachte anders, als daß er sein nutzloses Tun, das man mit betretenem Lächeln betrachtete, sogleich wieder einstellen werde, – er aber fuhr fort, sich unter bannenden, Aufmerksamkeit erzwingenden Kulturgebärden seiner Linken in das alles verschlingende Getöse hinein zu äußern, indem er die kleinen, müden und blassen, gewaltsam aufgerissenen Augen unter gespannten Stirnfalten abwechselnd auf einen und den anderen seiner Zuschauer richtete, so daß der eben Angeredete gezwungen war, mit hochgezogenen Brauen ihm zuzunicken und offenen Mundes die hohle Hand an die Ohrmuschel zu legen, als ob das die Heillosigkeit der Sache irgend hätte bessern können. Jetzt stand er sogar auf! Den Becher in der Hand, in seinem zerdrückten, fast fußlangen Reisemantel, dessen Kragen aufgestellt war, barhäuptig, die hohe, idolhaft gefaltete Stirn vom weißen Haar umflammt, stand er am Felsen und regte das Antlitz, vor das er dozierend den lanzenüberragten Ring seiner Finger hielt, die Undeutlichkeit seines tauben Toastes mit dem bannenden Zeichen der Genauigkeit versehend. Man erkannte an seinen Gebärden und las von seinen Lippen einzelne Wörter, die man von ihm zu hören gewohnt war: »Perfekt« und »Erledigt«, – nichts weiter. Man sah sein Haupt sich schräge neigen, zerrissene Bitternis der Lippen, das Bild des Schmerzensmannes. Dann wieder sah man das üppige Grübchen erblühen, sybaritische Schalkheit, ein tanzendes Gewänderraffen, die heilige Unsittsamkeit des Heidenpriesters. Er hob den Becher, führte ihn im Halbkreis vor den Augen der Gäste hin und trank ihn in zwei, drei Schlukken so bis zum letzten aus, daß der Boden ganz nach oben stand. Dann reichte er ihn mit ausgestrecktem Arme dem Ma {942} laien, der das Gefäß, Hand auf der Brust, entgegennahm, und gab das Zeichen zum Aufbruch.
    Alle verbeugten sich dankend gegen ihn, indem sie sich anschickten, nach Geheiß zu tun. Wer am Boden kauerte, sprang auf die Füße, wer auf dem Steggeländer saß, ließ sich herab. Der schmächtige Javaner in steifem Hut und Pelzkragen raffte die Reste des Mahls und das Geschirr zusammen. In derselben schmalen Ordnung, wie man gekommen, kehrte man auf dem feuchten Nadelwege, durch den von Flechtenbehang unkenntlich gemachten Wald zur Straße zurück, auf der die Wagen hielten.
    Hans Castorp stieg diesmal zum Meister und seiner Begleiterin. An der Seite des guten Ferge, dem alles Höhere völlig ferne lag, saß er dem Paare gegenüber. Es wurde fast nichts gesprochen auf dieser Heimfahrt. Mynheer saß, die flachen Hände auf dem Plaid, das seine Knie zusammen mit denen Clawdias umhüllte, und ließ den Unterkiefer hängen. Settembrini und Naphta stiegen aus und verabschiedeten sich, bevor die Wagen Geleise und Wasserlauf überschritten. Wehsal fuhr allein in der zweiten Kutsche die Wegschleife hinan und vor das Berghofportal, wo man sich trennte. –
    War in dieser Nacht Hans Castorps Schlaf durch irgendwelche innere Bereitschaft, von der seine Seele nichts wußte, leicht und flüchtig gehalten worden, so daß die leiseste Abweichung vom gewohnten nächtlichen Frieden des Berghofhauses, eine

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