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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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seines Vetters, der nicht zum Vergnügen hier gewesen war, und dessen sachlich-zweckhafter Sinn ihren Gesichtskreis auf die nächste Umgebung von Haus »Berghof« eingeschränkt hatte. Und nach seinem Ausscheiden – nun, auch danach hatte Hans Castorps Verhältnis zur hiesigen Landschaft, wenn man von seinen Skiunternehmungen absehen will, den Charakter {929} einer konservativen Einförmigkeit bewahrt, deren Kontrast zu der Spannweite seiner inneren Erfahrungen und »Regierungs«-obliegenheiten sogar nicht ohne einen gewissen bewußten Reiz für den jungen Mann gewesen war. Immerhin war seine Zustimmung lebhaft, als in seiner engeren Umgebung, diesem kleinen Freundeskreise von sieben Personen (ihn selber eingerechnet), der Plan einer Wagenfahrt nach jener empfohlenen Örtlichkeit erwogen wurde.
    Es war Mai geworden, der Wonnemond einfältigen kleinen Liedern des Flachlandes zufolge, – recht frisch und wenig einschmeichelnd von Luftbeschaffenheit hier oben, aber die Schneeschmelze konnte für abgeschlossen gelten. Zwar hatte es in den letzten Tagen mehrfach großflockig geschneit, doch das blieb nicht liegen, es ließ nur etwas Nässe zurück; die lagernden Massen des Winters waren versickert, verraucht, bis auf vereinzelte Reste dahingeschwunden; die grüne Gangbarkeit der Welt bedeutete ein Anerbieten an jede Unternehmungslust.
    Ohnehin hatte der gesellige Verkehr der Gruppe während der letzten Wochen gelitten unter dem Übelbefinden ihres Oberhauptes, des großartigen Pieter Peeperkorn, dessen maligne Tropenmitgift weder den Einwirkungen des außerordentlichen Klimas, noch den Antidoten eines so hervorragenden Mediziners, wie des Hofrat Behrens, hatte weichen wollen. Er war viel bettlägerig gewesen, nicht nur an Tagen, da das Quartanfieber in seine schlimmen Rechte trat. Milz und Leber machten ihm zu schaffen, wie der Hofrat die dem Patienten Nahestehenden abseits bedeutete; auch sein Magen sollte sich nicht in klassischer Verfassung befinden, und Behrens unterließ nicht, auf die auch bei einer so mächtigen Natur unter diesen Umständen nicht ganz von der Hand zu weisende Gefahr chronischer Entkräftung hinzudeuten.
    Einem abendlichen Essen und Trinken nur hatte Mynheer in {930} diesen Wochen vorgesessen, und auch die gemeinsamen Spaziergänge waren bis auf einen nicht sehr ausgedehnten unterblieben. Übrigens empfand Hans Castorp, unter uns gesagt, diese Lockerung der Cliquengemeinschaft in gewisser Hinsicht als Erleichterung, denn das mit Frau Chauchats Reisebegleiter getrunkene Schmollis schuf ihm Beschwerden; es brachte in seine öffentliche Konversation mit Peeperkorn dieselbe »Gezwungenheit«, dasselbe »Ausweichen« und gleichsam auf einer Vielliebchenwette beruhende »Vermeiden«, das diesem an seinem Verkehr mit Clawdia aufgefallen war: mit wunderlichen Behelfen umschrieb er die Anredeform, soweit sie sich nicht verschlucken ließ, – aus demselben oder dem umgekehrten Dilemma, das sein Gespräch mit Clawdia in Gegenwart anderer, auch in alleiniger Gegenwart ihres Meisters, beherrschte, und das sich dank der von diesem empfangenen Genugtuung zur formalen Doppelklemme vervollständigt hatte.
    Nun war denn also der Plan eines Ausflugs zum Wasserfall an der Tagesordnung, – Peeperkorn selbst hatte das Ziel bestimmt, und er fühlte sich rüstig zu dem Unternehmen. Es war der dritte Tag nach einem Quartananfall; Mynheer ließ wissen, daß er ihn zu nutzen wünsche. Zwar war er zu den ersten Mahlzeiten des Tages nicht im Speisesaal erschienen, sondern hatte sie, wie in letzter Zeit sehr häufig, zusammen mit Madame Chauchat in seinem Salon eingenommen; aber schon beim ersten Frühstück hatte Hans Castorp durch den hinkenden Concierge Order empfangen, sich eine Stunde nach dem Mittagessen zu einer Spazierfahrt bereitzuhalten, ferner, diesen Befehl an die Herren Ferge und Wehsal weiterzugeben, auch Settembrini und Naphta zu benachrichtigen, daß man bei ihnen vorfahren werde, und endlich für die Bestellung zweier Landauer auf drei Uhr Sorge zu tragen.
    Um diese Stunde traf man sich vor dem Portal von Haus »Berghof«: Hans Castorp, Ferge und Wehsal erwarteten dort die {931} Herrschaften aus den Fürstenzimmern, indem sie sich damit unterhielten, die Pferde zu tätscheln, die ihnen mit schwarzen, feuchten, plumpen Lippen Zuckerstücke von der flachen Hand nahmen. Die Reisegenossen erschienen mit nur leichter Verspätung auf der Freitreppe. Peeperkorn, dessen Königshaupt schmäler geworden schien,

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