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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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derart ins Rollen gekommen, daß kein Halten mehr ist, daß auch ihre musikalische zur Neige geht, und daß vielleicht keine Gelegenheit mehr unterkommen wird, den aufgeräumten Tonfall zu belauschen der Sprache des redensartlichen Radamanthys. Er sagte zu Hans Castorp:
    »Castorp, alter Schwede, Sie langweilen sich. Sie lassen das Maul hängen, ich sehe es alle Tage, die Verdrossenheit steht Ihnen an der Stirn geschrieben. Sie sind ein blasierter Balg, Castorp, Sie sind verhätschelt mit Sensationen, und wenn Ihnen nicht alle Tage was Erstklassiges geboten wird, so mucken und muffen Sie über die Sauregurkenzeit. Hab ich recht oder unrecht?«
    Hans Castorp schwieg, und da er das tat, so mußte wohl wirklich Finsternis walten in seinem Innern.
    {948} »Recht hab ich, wie immer«, gab Behrens sich selbst zur Antwort. »Und eh Sie mir hier das Gift der Reichsverdrossenheit verbreiten, Sie mißvergnügter Staatsbürger, sollen Sie doch sehen, daß Sie durchaus nicht von Gott und Welt verlassen sind, sondern daß die Obrigkeit ein Auge auf Sie hat, ein unverwandtes Auge, mein Lieber, und rastlos auf Ihre Divertierung bedacht ist. Der alte Behrens ist auch noch da. Na, nun mal ohne Spaß mein Junge! Es ist mir was eingefallen in Ihrer Sache, ich hab mir, weiß Gott, in schlaflosen Nächten für Sie was ausgedacht. Man könnte von einer Erleuchtung reden – tatsächlich versprech ich mir viel von meiner Idee, das heißt nicht mehr und nicht weniger, als Ihre Entgiftung und triumphale Heimkehr in ungeahnter Bälde.«
    »Da machen Sie Augen«, fuhr er nach einer Kunstpause fort, obgleich Hans Castorp keinerlei Augen machte, sondern ihn ziemlich schläfrig und zerstreut betrachtete, »und haben keine Ahnung, wie der alte Behrens es meinen könnte. Ich meine es aber so. Mit Ihnen stimmt etwas nicht, Castorp, das wird Ihrer werten Apperzeption ja nicht entgangen sein. Es stimmt insofern nicht, als Ihre Vergiftungserscheinungen sich schon seit längerem auf den zweifellos sehr gebesserten lokalen Zustand nicht mehr recht reimen lassen – ich meditiere nicht erst seit gestern darüber. Wir haben hier Ihr neuestes Photo … halten wir den Zauber mal gegen das Licht. Sie sehen, da findet der ärgste Nörgler und Schwarzseher, wie unser kaiserlicher Herr immer sagt, nicht allzuviel mehr zu erinnern. Ein paar Herde sind ganz resorbiert, das Nest ist kleiner geworden und schärfer umgrenzt, was, wie Sie gelehrterweise wissen, auf Heilung deutet. Aus diesem Befund ist die Unsolidität Ihres Wärmehaushalts nicht recht zu erklären, Mann; der Arzt sieht sich in die Notwendigkeit versetzt, nach neuen Ursachen zu fahnden.«
    Hans Castorps Kopfbewegung drückte leidlich höfliche Neugier aus.
    {949} »Nun werden Sie denken, Castorp, der olle Behrens muß zugeben, daß er die Behandlung verfehlt hat. Da hätten Sie aber einen Bock geschossen und wären der Sachlage nicht gerecht geworden und dem ollen Behrens auch nicht. Ihre Behandlung war nicht verfehlt, sie war nur möglicherweise zu einseitig orientiert. Die Möglichkeit ist mir aufgegangen, daß Ihre Symptome von jeher nicht ausschließlich auf tuberculosis zurückzuführen gewesen sind, und ich leite diese Möglichkeit aus der Wahrscheinlichkeit ab, daß sie heute überhaupt nicht mehr darauf zurückzuführen sind. Es muß eine andere Störungsquelle vorhanden sein. Nach meiner Meinung haben Sie Kokken.«
    »Nach meiner tiefinnersten Überzeugung«, wiederholte verstärkend der Hofrat, nachdem er die Kopfbewegung entgegengenommen, die hiernach auf seiten Hans Castorps fällig gewesen, »haben Sie Streptos – worüber Sie sich übrigens nicht gleich zu entsetzen brauchen.«
    (Es konnte von Entsetzen gar nicht die Rede sein. Hans Castorps Miene drückte vielmehr eine Art von ironischer Anerkennung, sei es des ihm begegnenden Scharfsinns, sei es des neuen Würdenstandes aus, in den der Hofrat ihn hypothetisch versetzte.)
    »Kein Grund zur Panik!« variierte dieser sein Zureden. »Kokken hat jeder. Streptos hat jeder Esel. Sie brauchen sich gar nichts einzubilden. Wir wissen erst seit neulich, daß einer Streptokokken im Blut haben kann, ohne irgendwie ansehnliche Infektionserscheinungen zu produzieren. Wir stehen vor dem vielen Kollegen noch gar nicht bekannten Ergebnis, daß auch Tuberkeln im Blute vorkommen können, ganz ohne Konsequenzen. Wir sind keine drei Schritte mehr von der Auffassung entfernt, daß die Tuberkulose eigentlich eine Blutkrankheit ist.«
    Hans Castorp fand

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