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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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der klaräugigen Göttin in die Arme geworfen, von deren kalmierender Macht der Hofrat so Sittliches zu sagen wußte, und das Problem, dem bei Tag und Nacht all sein Sinnen gehörte, an das er all jene Persistenz, die ganze sportliche Zähigkeit wandte, mit der er ehemals, vor seiner oft verlängerten Beurlaubung, welche in völlige Quieszierung überzugehen drohte, die Überführung armer Sünder betrieben hatte, – war kein anderes als die Quadratur des Kreises.
    Der entgleiste Beamte hatte sich im Lauf seiner Studien mit der Überzeugung durchdrungen, daß die Beweise, mit denen die Wissenschaft die Unmöglichkeit der Konstruktion erhärtet haben wollte, unstichhaltig seien, und daß die planende Vorsehung ihn, Paravant, darum aus der unteren Welt der Lebendigen entfernt und hierher versetzt habe, weil sie ihn dazu {955} ausersehen, das transzendente Ziel in den Bereich irdisch genauer Erfüllung zu reißen. So stand es mit ihm. Er zirkelte und rechnete, wo er ging und stand, bedeckte Unmassen von Papier mit Figuren, Buchstaben, Zahlen, algebraischen Symbolen, und sein gebräuntes Gesicht, das Gesicht eines scheinbar urgesunden Mannes, trug den visionären und verbissenen Ausdruck der Manie. Sein Gespräch betraf ausschließlich und mit furchtbarer Eintönigkeit die Verhältniszahl pi, diesen verzweifelten Bruch, den das niedrige Genie eines Kopfrechners namens Zacharias Dase eines Tages bis auf zweihundert Dezimalstellen berechnet hatte –, und zwar rein luxuriöserweise, da auch mit zweitausend Stellen die Annäherungsmöglichkeiten an das Unerreichbar-Genaue so wenig erschöpft gewesen wären, daß man sie für unvermindert hätte erklären können. Alles floh den gequälten Denker, denn wen immer ihm an der Brust zu ergreifen gelang, der mußte glühende Redeströ- me über sich ergehen lassen, bestimmt, seine humane Empfindlichkeit zu wecken für die Schande der Verunreinigung des Menschengeistes durch die heillose Irrationalität dieses mystischen Verhältnisses. Die Fruchtlosigkeit ewiger Multiplikation des Durchmessers mit pi, um den Umfang –, des Quadrats über dem Halbmesser, um den Inhalt des Kreises zu finden, schuf dem Staatsanwalt Anfälle von Zweifeln, ob nicht die Menschheit sich die Lösung des Problems seit Archimedes’ Tagen viel zu schwer gemacht habe und ob diese Lösung nicht in Wahrheit die kindlich einfachste sei. Wie, man sollte die Kreislinie nicht rektifizieren und also auch nicht jede Gerade zum Kreise biegen können? Zuweilen glaubte Paravant sich einer Offenbarung nahe. Man sah ihn öfters noch spät am Abend im verödeten und schlecht erleuchteten Speisesaal an seinem Tische sitzen, auf dessen entblößter Platte er ein Stück Bindfaden sorgfältig in Kreisform legte, um es plötzlich, mit überrumpelnder Gebärde, zur Geraden zu strecken, danach {956} aber, schwer aufgestützt, in bitteres Grübeln zu verfallen. Der Hofrat ging ihm gelegentlich zur Hand bei solchem schwermütigen Getändel, bestärkte ihn überhaupt in seiner Grille. Und auch an Hans Castorp wandte sich der Leidende wohl einmal mit seinem geliebten Gram, einmal und wiederholt, da er auf viel freundliches Verständnis, auf ein teilnehmendes Gefühl für das Geheimnis des Kreises stieß. Er veranschaulichte dem jungen Mann die Verzweiflung pi, indem er ihm eine haarscharfe Zeichnung vorwies, worin mit äußerster Mühe eine Kreislinie zwischen zwei Polygonen mit winzig-zahllosen Seiten, einem eingeschriebenen und einem umschriebenen, bis zur letzt-menschenmöglichen Annäherung eingefangen war. Der Rest aber, die Krümmung, die sich auf eine ätherisch-geistige Art der Rationalisierung durch die berechenbare Umklammerung entzog, – das, sagte der Staatsanwalt mit bebendem Unterkiefer, sei pi! Hans Castorp, bei aller Empfänglichkeit, zeigte sich weniger reizbar gegen pi, als sein Unterredner. Er nannte es eine Eulenspiegelei, riet Herrn Paravant, sich bei seinem Haschespiel doch nicht zu ernstlich zu erhitzen und sprach von den ausdehnungslosen Wendepunkten, aus denen der Kreis von seinem nicht vorhandenen Anfang bis zu seinem nicht vorhandenen Ende bestehe, sowie von der übermütigen Melancholie, die in der ohne Richtungsdauer in sich selber laufenden Ewigkeit liege, mit so gelassener Religiosität, daß vorübergehend eine begütigende Wirkung davon auf den Staatsanwalt ausging.
    Übrigens bestimmte seine Natur den guten Hans Castorp zum Vertrauten mehr als eines Hausgenossen, von dem irgendeine fixe Idee

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