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Der Zauberberg

Der Zauberberg

Titel: Der Zauberberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Flageolett.
    Soviel vom Liede und seinem Vortrag. Wir mögen uns wohl schmeicheln, es sei uns in früheren Fällen gelungen, unseren Zuhörern ein ungefähres Verständnis für die intime Teil {987} nahme einzuflößen, die Hans Castorp den Vorzugs-Programmnummern seiner nächtlichen Konzerte entgegenbrachte. Allein begreiflich zu machen, was diese letzte, dies Lied, der alte »Lindenbaum« ihm bedeutete, das ist nun freilich ein Unternehmen der kitzlichsten Art, und höchste Behutsamkeit der Intonation ist vonnöten, wenn nicht mehr verdorben, als gefördert werden soll.
    Wir wollen es so stellen: Ein geistiger, das heißt ein bedeutender Gegenstand ist eben dadurch »bedeutend«, daß er über sich hinausweist, daß er Ausdruck und Exponent eines Geistig-Allgemeineren ist, einer ganzen Gefühls- und Gesinnungswelt, welche in ihm ihr mehr oder weniger vollkommenes Sinnbild gefunden hat, – wonach sich denn der Grad seiner Bedeutung bemißt. Ferner ist die Liebe zu einem solchen Gegenstand ebenfalls und selbst »bedeutend«. Sie sagt etwas aus über den, der sie hegt, sie kennzeichnet sein Verhältnis zu jenem Allgemeinen, jener Welt, die der Gegenstand vertritt, und die in ihm, bewußt oder unbewußt, mitgeliebt wird.
    Will man glauben, daß unser schlichter Held nach so und so vielen Jährchen hermetisch-pädagogischer Steigerung tief genug ins geistige Leben eingetreten war, um sich der »Bedeutsamkeit« seiner Liebe und ihres Objektes
bewußt
zu sein? Wir behaupten und erzählen, daß er es war. Das Lied bedeutete ihm viel, eine ganze Welt und zwar eine Welt, die er wohl lieben mußte, da er sonst in ihr stellvertretendes Gleichnis nicht so vernarrt gewesen wäre. Wir wissen, was wir sagen, wenn wir – vielleicht etwas dunklerweise – hinzufügen, daß sein Schicksal sich anders gestaltet hätte, wenn sein Gemüt den Reizen der Gefühlssphäre, der allgemein geistigen Haltung, die das Lied auf so innig-geheimnisvolle Weise zusammenfaßte, nicht im höchsten Grade zugänglich gewesen wäre. Eben dieses Schicksal aber hatte Steigerungen, Abenteuer, Einblicke mit sich gebracht, Regierungsprobleme in ihm aufgeworfen, die ihn zu {988} ahnungsvoller Kritik an dieser Welt, diesem ihrem allerdings absolut bewunderungswürdigen Gleichnis, dieser seiner Liebe reif gemacht hatten und danach angetan waren, sie alle drei unter Gewissenszweifel zu stellen.
    Der müßte nun freilich von Liebesdingen rein gar nichts verstehen, der meinte, durch solche Zweifel geschähe der Liebe Abtrag. Sie bilden im Gegenteil ihre Würze. Sie sind es erst, die der Liebe den Stachel der Leidenschaft verleihen, so daß man schlechthin die Leidenschaft als zweifelnde Liebe bestimmen könnte. Worin bestanden denn aber Hans Castorps Gewissens- und Regierungszweifel an der höheren Erlaubtheit seiner Liebe zu dem bezaubernden Liede und seiner Welt? Welches war diese dahinter stehende Welt, die seiner Gewissensahnung zufolge eine Welt verbotener Liebe sein sollte?
    Es war der Tod.
    Aber das war ja erklärter Wahnsinn! Ein so wunderherrliches Lied! Reines Meisterwerk, geboren aus letzten und heiligsten Tiefen des Volksgemüts; ein höchster Besitz, das Urbild des Innigen, die Liebenswürdigkeit selbst! Welch häßliche Verunglimpfung!
    Ei ja, ja, ja, das war recht schön, so mußte wohl jeder Redliche sprechen. Und dennoch stand hinter diesem holden Produkte der Tod. Es unterhielt Beziehungen zu ihm, die man lieben mochte, aber nicht ohne sich von einer bestimmten Unerlaubtheit solcher Liebe ahnungsvoll-regierungsweise Rechenschaft zu geben. Es mochte seinem eigenen ursprünglichen Wesen nach nicht Sympathie mit dem Tode, sondern etwas sehr Volkstümlich-Lebensvolles sein, aber die geistige Sympathie damit war Sympathie mit dem Tode, – lautere Frömmigkeit, das Sinnige selbst an ihrem Anfang, das sollte auch nicht aufs Leiseste bestritten werden; aber in ihrer Folge lagen Ergebnisse der Finsternis.
    Was redete er sich da ein! – Er hätte es sich von euch nicht {989} ausreden lassen. Ergebnisse der Finsternis. Finstere Ergebnisse. Folterknechtssinn und Menschenfeindlichkeit in spanischem Schwarz mit der Tellerkrause und Lust statt Liebe – als Ergebnis treublickender Frömmigkeit.
    Wahrhaftig, der Literat Settembrini war nicht eben der Mann seines unbedingten Vertrauens, aber er erinnerte sich einiger Belehrung, die der klare Mentor ihm einst, vor Zeiten, am Anfang seiner hermetischen Laufbahn, über »Rückneigung«, die geistige

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