Der Zauberberg
Köpfe hin ins Leere hinein … Ein Zögern folgte. Dann kippte das Glas und bejahte.
»Wie heißt du?« fragte Herr Albin fast schroffen Tones, indem er die Energie seiner Anrede durch ein Kopfschütteln verstärkte.
Das Glas rückte. Es lief mit Entschiedenheit und im Zickzack von Marke zu Marke, indem es zwischendurch immer ein Stück gegen die Tischmitte hin zurückkehrte; es lief zum h, zum o, zum l, es schien danach zu ermatten, sich zu verwirren, nicht weiter zu wissen, aber es fand sich wieder, fand auch das g, das e und r. Hatte man’s doch gedacht! Es war Holger persönlich, der spirit Holger, der das mit der Salzprise usw. gewußt, aber freilich in Schulfragen sich nicht eingemischt hatte. Er war da, er flutete in den Lüften, er umschwebte das Kränzchen. Was fing man nun mit ihm an? Eine gewisse Blödigkeit beherrschte den Kreis. Man beriet sich leise und gleichsam hinter der Hand, was man von ihm zu wissen begehren sollte. Herr Albin entschied sich, zu fragen, was Holgers Stand und Geschäft bei Lebzeiten gewesen sei. Er tat es, wie oben, im Tone des Verhörs, streng und mit zusammengezogenen Brauen.
Das Glas schwieg eine Weile. Dann begab es sich kippend und stolpernd zum d, rückte ab und bezeichnete das i. Was wollte das werden? Die Spannung war mächtig. Dr. Ting-Fu befürchtete kichernd, Holger sei ein Dieb gewesen. Frau Stöhr verfiel in hysterisches Lachen, ohne dadurch der Arbeit des Glases Einhalt zu tun, das, wenn auch humpelnd und klappernd, zum c, zum h glitt, das t berührte und dann, offenbar unter fehlerhafter Auslassung einer Letter, mit dem r endigte. Es hatte »Dichtr« buchstabiert.
Was tausend, ein Dichter war Holger gewesen? – Zum Über {1004} fluß und nur aus Stolz, wie es schien, kippte das Glas und klopfte bejahend. – Ein lyrischer Dichter? fragte die Kleefeld, indem sie das y wie i aussprach, wie Hans Castorp unwillig bemerkte … Zu solchen Spezifikationen schien Holger unlustig. Er gab keine neue Antwort. Er buchstabierte die vorige noch einmal, rasch, sicher und klar, das e hinzufügend, das er vorhin vergessen.
Gut, gut, also Dichter. Die Verlegenheit wuchs, – eine sonderbare Verlegenheit, die den Kundgebungen unkontrollierter Gegenden des eigenen Inneren galt, aber durch die gleisnerisch-halbdingliche Gegebenheit dieser Kundgebungen doch auch wieder die Richtung ins Außen-Wirkliche erhielt. Ob Holger sich wohl und glücklich fühlte in seinem Zustande, wollte man wissen. – Das Glas schob träumerischerweise das Wort »Gelassen«. Ach so, »gelassen« also. Nun ja, man wäre von selbst nicht darauf gekommen, aber da denn das Glas so buchstabierte, fand man es wahrscheinlich und gut gesagt. – Und wie lange Holger sich denn schon in seinem gelassenen Zustande befinde? – Jetzt kam wieder etwas, worauf niemand verfallen wäre, etwas träumerisch sich selbst Gebendes. Es lautete: »Eilende Weile«. – Sehr gut! Es hätte auch »Weilende Eile« lauten können, es war ein bauchrednerischer Dichterspruch von außen, Hans Castorp namentlich fand ihn vorzüglich. Eine eilende Weile war Holgers Zeitelement, natürlich, er mußte die Frager spruchweise abfertigen, mit irdischen Worten und Maßgenauigkeiten mochte er freilich zu operieren verlernt haben. – Was wollte man also noch von ihm erfahren? Die Levi gestand ihre Neugier, zu wissen, wie Holger aussähe, beziehungsweise einst ausgesehen habe. Ob er ein schöner Jüngling sei? – Sie solle ihn selber fragen, ordnete Herr Albin an, der diesen Wissenswunsch unter seiner Würde fand. So fragte sie per du, ob spirit Holger wohl blonde Locken habe.
»Schöne braune, braune Locken«, zog das Glas, indem es das {1005} Wort »braune« ausführlich zweimal buchstabierte. Erfreute Heiterkeit herrschte im Kreise. Die Damen bekundeten offen Verliebtheit. Sie warfen Kußhände schräg gegen den Plafond empor. Dr. Ting-Fu meinte kichernd, Mister Holger scheine ja ziemlich eitel zu sein.
Da wurde das Glas zornig und toll! Es lief wie wild und ohne Sinn auf dem Tische umher, kippte wütend, fiel um und rollte der Stöhr in den Schoß, die schreckensbleich mit gespreizten Armen darauf niederblickte. Man führte es behutsam und unter Entschuldigungen an seinen Ort zurück. Der Chinese wurde gescholten. Wie er sich habe unterstehen können! Da sehe er, wohin solch ein Vorwitz führe! Und wie, wenn Holger nun im Zorne auf und davon war und kein Wort mehr verlauten ließ? Man redete seinem Glase aufs beste zu. Ob er
Weitere Kostenlose Bücher