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Der zehnte Richter

Der zehnte Richter

Titel: Der zehnte Richter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brad Meltzer
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Vorsichtig stellte er seinen Soßentopf auf die vordere Flamme. »Jetzt erzähl mal, wie es war. Was hast du den ganzen Tag gemacht?«
    »Bis der Gerichtshof offiziell wieder tagt, verbringen wir die meiste Zeit damit, Gutachten zu Eingaben zu verfassen, die ein Revisionsurteil anstreben«, berichtete Ben. Er sah in die Runde, um festzustellen, ob seine Freunde an weiteren Erklärungen interessiert waren, bevor er fortfuhr: »Täglich wird der Gerichtshof von Eingaben überschwemmt, die auf eine Revision abzielen, also eine Aktenanforderung durch uns. Wenn vier der Richter zustimmen, bedeutet das, daß der Fall vor den Gerichtshof kommt. Um Zeit zu sparen, lesen wir die Eingaben durch, fassen sie in standardisierter Form zusammen und empfehlen, ob der betreffende Richter eine Revision gewähren oder ablehnen sollte.«
    »Wie euer Gutachten ausfällt, kann also wirklich Einfluß darauf nehmen, ob der Gerichtshof entscheidet, einen Fall zu behandeln«, schloß Nathan.
    »Könnte man so sagen, aber ich glaube, irgendwie überschätzt du unsere Macht.« Ben tauchte seinen Finger in die Soße, um zu kosten. »Das Gutachten kommt schließlich auch ins Amtszimmer jedes anderen Richters, wodurch man schon in Schach gehalten wird. Nehmen wir einmal an, es ginge um so einen wichtigen Fall wie eine echte Einschränkung des Rechts auf Abtreibung. Wenn mein Gutachten einseitig ist und Richter Hollis nahelegt, eine Anhörung zu verweigern, treten seine konservativen Kollegen ihm die Tür ein, und ich sehe aus wie ein Trottel.«
    »Aber in einem nebensächlichen Fall wird es bestimmt niemand auffallen - besonders wenn du der einzige bist, der die ursprüngliche Eingabe gelesen hat«, sagte Nathan.
    »Ich weiß nicht.« Ben schüttelte den Kopf und lehnte sich an die Küchentheke. »Ich hab' den Eindruck, daß heute Abend deine napoleonische Seite Oberhand gewinnt. Hier geht es um den Obersten Gerichtshof. Und der hat einen strengen Ehrenkodex.«
    »Ich kann noch immer nicht glauben, daß du am Obersten Gerichtshof bist«, meinte Ober, der am Spülbecken Knoblauch schälte. »Am allerobersten Gericht, verdammt noch mal. Ich sitze im Büro am Telefon, und du hängst am Obersten Gerichtshof rum.«
    »Sieht so aus, als wärst du nicht befördert worden«, sagte Ben.
    »Die haben mich total hingehängt«, erwiderte Ober ruhig. Mit zwei deutlichen Grübchen in seinen blassen Wangen und hellen Sommersprossen auf seiner Nase war er der einzige von Bens Mitbewohnern, der noch immer aussah wie ein Student. »Dabei hab' ich bloß deswegen im Büro von Senator Stevens angefangen, weil man mir gesagt hat, ich würde nur ein paar Wochen am Telefon sitzen. Das war vor fünf Monaten.«
    »Hast du sie deshalb zur Rede gestellt?« fragte Ben. »Ich hab' alles versucht, was du mir gesagt hast«, erklärte Ober. »Aber ich kann einfach nicht so aggressiv sein wie du.«
    »Hast du wenigstens damit gedroht, zu kündigen?« wollte Ben wissen.
    »Ich hab's irgendwie angedeutet.«
    »Angedeutet?« fragte Ben. »Und, was haben sie gesagt?«
    »Sie haben mir gesagt, es täte ihnen wirklich leid, aber sie würden sich gerade auf ein Wahljahr vorbereiten. Außerdem gäbe es mindestens hundert Leute, die meinen Job mit Handkuß nehmen würden. Ich glaube, ich hätte schon auf den Schreibtisch der Personalchefin pinkeln müssen.«
    »Na, das ist mal eine echt gute Idee«, kommentierte Nathan. »Pinkeln ist eine absolut angemessene Reaktion für einen Achtundzwanzigjährigen. Ich hab' immer gehört, es sei der beste Weg zu einer Beförderung.«
    »Du mußt auftreten«, meinte Ben. »Du mußt es schaffen, daß sie denken, die Welt bricht zusammen, wenn sie dich verlieren.«
    »Und wie soll ich das machen?«
    »Du mußt das Gesamtprodukt vorführen«, erklärte Ben. Mit einem Blick auf Obers weißes Oxfordhemd fügte er hinzu: »Und du mußt dich entsprechend anziehen. Ich hab' dir schon einmal gesagt, du sollst das Hemd da unbedingt im Schrank lassen. Mit deinen Sommersprossen und den blonden Haaren siehst du wie ein Waisenknabe aus.«
    »Aber was soll ich denn ...«
    »Da.« Ben zog sein Jackett aus und reichte es Ober. Als dieser hineinschlüpfte, fuhr er fort: »Das steht dir ziemlich gut. Du wirst also meinen Anzug und meine Krawatte tragen. Das ist ein Outfit, mit dem man Eindruck schinden kann. Und dann wirst du morgen früh wieder ins Büro gehen und die Sache noch einmal vorbringen.«
    »Das schaffe ich nicht«, sagte Ober.
    »Vielleicht kannst du einen

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