Der Zeichner der Finsternis
mir ein Glas Leitungswasser. »Aber ich habe die Scheune nicht angesprüht, ehrlich! Ich war mit dir das erste Mal dort. Warum sollte ich irgendwo hingehen, wo ich noch nie war, und mit Farbe rumsprühen? Ich kann mich nicht mal daran erinnern, dass ich die Farbe gekauft …« Ich trank den letzten Schluck, spülte das Glas aus und stellte es aufs Abtropfbrett. Dann drehte ich mich wieder zu Onkel Hank um. »Glaubst du mir?«
»Was ich glaube, spielt keine Rolle.«
»Das hab ich nicht gefragt.«
»Ich glaube an dich «, sagte er. Aber er sah mich dabei nicht an. Dann verkündete er, er müsse jetzt zum Dienst.
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Ich bekam eine vom Jugendgericht gestellte Pflichtverteidigerin. Sie war ganz in Ordnung, aber sie sah andauernd auf die Uhr, und ich hätte sie am liebsten angebrüllt, dass sie gern abhauen und sich um wichtigere Fälle kümmern könnte. Doch ich hielt die Klappe. Das kann ich sowieso am besten.
Eine Sozialarbeiterin kam dazu und unterhielt sich eine ganze Weile erst mit Onkel Hank und dann mit mir. Sie hatte so eine Art zu reden, als wüsste sie ganz genau, wie es mir ging, und das machte mich ganz kirre. (Das ist oft so bei Leuten, die Kindern angeblich helfen wollen. Mich nervt das. Ich denke dann immer, dass der Betreffende in seiner Ausbildung gelernt hat, mit Kindern so zu reden, dass er ihr Vertrauen gewinnt. Aber es ist trotzdem nur ein Beruf, und solche Leute machen das garantiert hundert Mal im Monat, da kann nicht jeder von denen dein Freund sein.)
Außerdem musste ich verschiedene Tests machen, mit denen mein Geisteszustand überprüft werden sollte. Ein Test war besonders bescheuert und dauerte ewig. Die Fragen waren immer wieder die gleichen. Ich kriegte auf einmal Schiss, dass sie mich dadurch austricksen wollten, indem sie mir x-mal dieselbe Frage stellten, um zu sehen, ob ich auch immer gleich antwortete. Ich überlegte kurz, ob ich zurückblättern und einen Blick auf meine vorigen Antworten werfen sollte, aber dann kam ich auf die Idee, dass das womöglichdie eigentliche Falle war … Ich kam zu dem Schluss, dass sie mich sowieso am Arsch hatten, also wozu das ganze Theater?
Onkel Hank und ich wechselten kaum ein Wort – nicht viel anders als sonst. Ich hatte sowieso schon alles gesagt, was mir einfiel. Es war wie ein großes Loch in meiner Brust … Ich war eben nicht normal. Er hatte die ganze Zeit sein Möglichstes getan, um für mich zu sorgen und mich in Schutz zu nehmen, und ich machte ihm trotzdem immer nur Kummer. Vielleicht war es doch besser, wenn ich einfach wegging.
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Die Verhandlung war Freitagmittag. Ich brauchte nicht viel zu machen außer Aufstehen, als der Richter mich aufrief und »schuldig« sagte, dann Stehen bleiben und mir von ihm anhören, was für ein Versager ich wäre, dass Vandalismus hier nicht geduldet würde, blablabla. Im Grunde war ich ganz froh, dass ich nur anwesend sein und zuhören musste, denn inzwischen drehte ich total am Rad. Ja, okay: Ich war verschlossen, ein bisschen verträumt und seltsam. Aber ich hatte schließlich keine Brandstiftung begangen, keine Bank überfallen oder mit Drogen gedealt. Kein Vergleich mit manchen Typen aus meiner Schule. Karl Dekker aus der Elften zum Beispiel, der letztes Jahr wegen Vandalismus von der Schule geflogen ist und weil er gesoffen hat und so weiter. Verglichen mit so einem würde es gar nicht so leicht werden, mich ins Heim zu stecken. Trotzdem – wenn das passiert wäre, wäre ich sofort abgehauen! In so einem Heim hätten mich die anderen Jugendlichen abgemurkst. Typen wie Dekker, das sind die, vor denen man sich in Acht nehmen muss!
Außerdem hatte ich noch viel vor. Zum Beispiel Kunst studieren. Im freien Malen und Zeichnen war ich ziemlich gut, und die Vorstellung, eines Tages wie Rembrandt, Velazquez oder Caravaggio malen zu können, fand ich toll. Wie diese Maler das Chiaroscuro beherrschten, wie sie gekonnt Lichter und Schlagschatten setzten – das war eine Sprache, die ich verstand. Oder Dali und Picasso: Wie kriegten die beiden es hin, in ihren Bildern das darzustellen, was den Menschen, die Uhr oder was auch immer eigentlich ausmachte? Wenn ich so richtig im Zeichnen oder Malen drin war und es Klick machte, bewegte ich mich plötzlich auf einer anderen Bewusstseinsebene. Ich weiß schon, das klingt verrückt, aber ich habe Bücher über Maler, Schriftsteller und Komponisten gelesen. Überall steht dasselbe: dass das Gehirn beim Schaffensprozess anders arbeitet als sonst.
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