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Der Zeichner der Finsternis

Der Zeichner der Finsternis

Titel: Der Zeichner der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilsa J. Bick
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es bis nach unten auf denHeuboden. Dort blieb ich erst mal stehen, bis meine Beine nicht mehr zitterten. Dann drehte ich mich langsam einmal um mich selbst. Wieder prägte sich mir alles überdeutlich ein. Auf dem Bretterboden wechselten sich pechschwarze Schatten mit Streifen von grellem Sonnenlicht ab, das durch das undichte Dach hereinfiel. Die Scheune besaß ein eckiges Türmchen, von dem eine Holztreppe herunterführte. Im offenen Dachstuhl sah man die Balken. Von einem Balken baumelte ein altes Seilende. Das Seil sah so morsch aus, dass es wahrscheinlich zu Staub zerfiel, wenn man es anfasste.
    Das Raunen in meinem Kopf … es war noch da, aber es hielt sich zurück … es wartete darauf, dass mir etwas ganz Bestimmtes auffiel … Aber was bloß? Dann spähte ich durch eine Fensteröffnung in der Ostwand. Mein Blick verengte sich plötzlich und stellte sich scharf, als schaute ich durch ein Fernrohr. Gleichzeitig schwoll das Raunen wieder an.
    Durch die Fensteröffnung blickte man auf Winter. Die Stadt lag fast genauso vor mir, wie ich sie auf das letzte Blatt von meinem Block gezeichnet hatte. Aus den Schornsteinen der Eisenmannschen Fabrik quollen graue Wolken, Felder und Äcker wechselten sich mit langen Reihen Eichen und Birken ab, dahinter ging der kobaltblaue See in den türkisfarbenen Himmel über. Ich hielt unwillkürlich Ausschau nach dem Zwiebelturm, entdeckte ihn aber nicht – logisch. Links stand am südlichen Zipfel eines Teichs eine Gruppe Espen. Dort hatte jemand verbotenerweise einen Haufen Ziegelschutt abgeladen, der vom dichten Unkraut schon halb überwuchert war.
    Ich hatte keine Ahnung, warum ich mir das alles ansehen sollte. Ich hatte auch keinen blassen Schimmer, warum ichüberhaupt auf den Heuboden geklettert war und was ich hier drinnen in der Scheune wollte. Ich kam zu dem Schluss, dass ich dringend eine Pause brauchte. Ich war müde, hungrig und von der Hitze schon ganz benommen. Und, ich geb’s zu, mir war das Ganze ein bisschen unheimlich. Am besten, ich ruhte mich aus, bis Justin wiederkam. Wenn ich etwas im Magen hatte, ging es mir bestimmt besser.
    Die Tür, durch die das Heu hereingeworfen wurde, quietschte erbärmlich, aber ich bekam sie auf. Vom See kam eine erfrischende Brise herübergeweht und strich über meine Wangen. Ich beugte mich kurz hinaus, kühlte mein Gesicht und wurde gleich ruhiger. Dann lehnte ich mich für ein Nickerchen an die Wand, machte die Beine lang und … das Raunen wurde zum Summen, meine Gedanken verschwammen, aus Gerüchen wurden Geräusche wurden Farben. Ich fiel, ich stürzte …

V
    Ich will versuchen zu beschreiben, was dann geschah.
    Es roch immer noch nach Heu und Pferdemist, bloß viel, viel stärker, und ich hörte es von unten leise wiehern. Mir wurde schwindlig wie auf der Achterbahn, ich sauste hoch und runter wie manchmal kurz vor einem Traum: wenn man noch nicht richtig schläft, aber auch nicht mehr richtig wach ist. Ich saß aber noch in der Heutür. Der Türrahmen bohrte sich in meinen Rücken, und unter den Oberschenkeln spürte ich Steinchen.
    Mühsam öffnete ich die Augen.
    Alles hatte sich komplett verändert.
    Zunächst einmal war Hochsommer. Das erkannte ich an den grünen und gelben Feldern, die sich bis zum Horizont erstreckten. Auf den Feldern rechts der Scheune bückten sich Männer über Reihen von Buschbohnen. Sie schleiften halb volle Säcke hinter sich her. Zwei Uniformierte hoch zu Pferd beaufsichtigten die Ernte. Sie hatten ihre Gewehre in die Armbeugen gelegt. Ich konnte an den Uniformen nicht erkennen, ob es Polizisten oder irgendwelche Aufseher waren. Auf der anderen Seite der Scheune grasten zwei Pferde. Dahinter näherten sich zwei andere, pechschwarze Pferde gemächlich dem spiegelglatten Teich. DieEspengruppe war auch da, die Bäume waren aber niedriger.
    Ich kann nicht sagen, was ich empfand. Einerseits war ich verwirrt und davon überzeugt, dass ich träumte. Andererseits hatte ich … Angst.
    »Sei froh, dass du kein Gefangener bist«, sagte jemand hinter mir. »Sonst müsstest du auch für Anderson schuften.«
    Ich bekam einen solchen Schreck, dass ich beinahe aus der Heutür gefallen wäre. Als ich mich erholt hatte, drehte ich mich um.
    Hinter mir lag ein Berg frisch gemähter Luzerne. Ein nagelneues, armdickes Seil – ganz anders als das morsche Ende von vorhin – war an einen Dachbalken geknotet, und eine solide Holzleiter lehnte an einem Pfosten, der zu einer Art Sims hochführte.
    Dann war da noch

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