Der Zeichner der Finsternis
Rand weg. »Du bringst uns noch beide um!«
»Das wollte ich nicht.« Ich spüre, wie der andere Junge innerlich angestrengt umherspäht. Ich drehe mich zu Pavel um. »Siehst du ihn denn nicht?«
»Wen?«, fragt Pavel zurück, aber er wirft trotzdem einen Blick über die Schulter. Das Ganze ist ihm unheimlich, denn er reißt die großen Augen weit auf. »Leg dich lieber hin, David. Du bist ganz blass.«
»Er ist hier«, beharre ich. »Siehst du ihn nicht?« Aber ich starre ins Dunkel, wo jemand
(ICH)
meinen Blick erwidert, und dann sagt Pavel etwas, aber ich höre ihn nicht. David hört ihn auch nicht, denn auf einmal setzt ein Getöse ein, das Raunen schwillt an und dann
VI
Noch einmal röhrt der Motor auf, die Krähen krächzen … Ich fuhr hoch und schlug dabei um mich, sodass ich beinahe durch die offene Heutür stürzte. Keuchend kroch ich auf allen vieren ein Stück zurück und riss mir dabei Splitter in die Handballen. Die Luft war von einem dumpfen Grollen erfüllt, wie Donner, nur viel lauter. Verwirrt krabbelte ich wieder vor, spähte nach draußen und erschrak zum zweiten Mal an diesem Tag fast zu Tode.
»Hey, Killer!« Karl Dekker fläzte sich in schwarzer Lederkluft und ebenso schwarzen Doc Martens auf seinem Motorrad. An seiner Unterlippe klebte eine Kippe, um den Kopf hatte er ein schwarzrotes Piratentuch geschlungen. Er sah noch genauso aus wie vor einem Jahr, als er von der Schule abgegangen war: hinterhältig und durchtrainiert, ein Fiesling mit muskelbepackten Armen von der Arbeit in der Fabrik.
Karl Dekker ist schon als Arschloch auf die Welt gekommen, da bin ich sicher. Seit Onkel Hank die illegale Autowerkstatt von seinem Vater auffliegen ließ, hat Karl es auf mich abgesehen. Beim ersten Mal waren wir in der dritten Klasse, und Dekkers Vater wanderte ein Dreivierteljahr in den Knast. Ich weiß noch, dass ich damals irgendwieein schlechtes Gewissen hatte. Eines Nachmittags wollte ich Karl auf dem Spielplatz erklären, dass ich nichts dafür konnte. Ich wachte in der Notaufnahme wieder auf, mit einer frisch genähten Platzwunde am Kopf und einer in Tränen aufgelösten Tante Jean an meinem Bett.
Irgendwann trieb Dekkers Vater es dann zu weit – mit der Autowerkstatt versuchte er es insgesamt drei Mal, aber das meine ich jetzt nicht. Er war betrunken und verprügelte Karl. Danach schickte das Jugendamt Karl eine Zeit lang ins Heim. Karl gab mir auch dafür die Schuld.
Dabei war ich nicht der Einzige, der auf seiner schwarzen Liste stand. Als sich der alte Dekker vorletztes Jahr allmählich wieder berappelte, kam Karl vorübergehend zu den Schoenbergs. Das war Pfarrer Schoenbergs Idee gewesen. Vielleicht hatten Karl und Sarah ja auch was miteinander, keine Ahnung. Jedenfalls bekam Karl auch dort Ärger und wurde wieder mal rausgeworfen.
Natürlich war er nicht allein hergekommen. Er hatte wie immer Verstärkung dabei: zwei andere Typen, genau solche Arschlöcher wie er. Die beiden hockten ebenfalls auf ihren Motorrädern und blinzelten durch den Zigarettenqualm zu mir hoch. Ich kannte sie nicht, was auch daran lag, dass sie so gleich aussahen. Dekker war Dekker, den konnte man mit niemandem verwechseln. Die beiden anderen hätten Crabbe und Goyle sein können oder meinetwegen Athos und Porthos – du weißt schon, was ich meine. Dekker war der Einzige von den dreien, auf den es ankam.
»Wollte doch mal sehen, was du handwerklich draufhast.« Dekker schwang sich aus dem Sattel. »Nicht schlecht, Killer. Das haste echt gut hingekriegt.«
Crabbe und Goyle kicherten, ihre Mäuler standen offen wie bei hechelnden Hunden. »Komm runter, Cage«, sagte Dekker. »Oder haste Schiss?«
Allerdings . Ich schluckte, als mir bewusst wurde, wie weit weg die Stadt war, dass ich nur halb angezogen und völlig wehrlos war. »Ich hab grad Pause gemacht«, sagte ich, als hätte sich die Sache damit erledigt. Dekker trat gegen den Abbeizerkanister, und ich mahnte blöderweise: »He, pass auf mit dem Ding. Da ist Säure drin.«
»Uuuuuh!« Dekker schüttelte sich übertrieben. »Glaubst du, ich häng meinen Schwanz da rein oder was? Obwohl …« Er steckte die Finger durch den Griff und ließ den Kanister hin und her schaukeln. »Stell dir mal vor, das Ding rutscht mir aus der Hand … oder ich trete aus Versehen gegen das Gerüst, und es kracht zusammen …«
»Was willst du von mir?«
Er bleckte die Zähne. »Was mit dir besprechen, Killer.«
»Du sollst mich nicht so nennen.«
»Du sollst mich
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