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Der Zeitdieb

Der Zeitdieb

Titel: Der Zeitdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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beobachteten.
    »Ich nehme an, ihr habt von der Regel Nummer Eins gehört?«
    Das schien die grauen Gestalten nachdenklich zu stimmen. Einer sagte: »Wir kennen Millionen von Regeln, Mensch.«
    »Milliarden«, fügte ein anderer hinzu. »Billionen.«
    »Nun, mich könntet ihr nicht angreifen«, sagte Lu-Tze. »Und zwar wegen der Regel Eins.«
    Die nächsten Revisoren steckten die Köpfe zusammen, um sich zu beraten.
    »Bestimmt geht es dabei um Gravitation.«
    »Nein, um Quanteneffekte, kein Zweifel.«
    »Logischerweise kann es keine Regel Eins geben, denn dann gäbe es kein Konzept der Pluralität mehr.«
    »Aber können andere Regeln existieren, wenn es keine Regel Eins gibt? Wenn die Regel Eins fehlt, wo ist dann Regel Zwei?«
    »Es gibt Millionen von Regeln! Und sie alle sind nummeriert!«
    Wundervoll, dachte Lu-Tze. Ich brauche nur zu warten, bis ihre Köpfe schmelzen.
    Doch dann trat ein Revisor vor. In seinen Augen glitzerte es, und sein Äußeres wirkte recht vernachlässigt. In der einen Hand hielt er eine Axt.
    »Wir brauchen dies nicht zu diskutieren!«, sagte er scharf. »Wir müssen denken: Dies ist Unsinn, und über Unsinn diskutieren wir nicht!«
    »Aber was ist Regel Ei…«!, begann ein Revisor.
    »Du hast mich mit ›Herr Weiß‹ anzusprechen!«
    »Was ist Regel Eins, Herr Weiß?«
    »Ich freue mich nicht darüber, dass du diese Frage stellst!«, heulte Herr Weiß und schwang die Axt. Der Körper des anderen Revisors zerbröckelte an der Klinge und wurde zu einer sich schnell auflösenden Wolke aus glitzerndem Staub.
    »Gibt es sonst noch jemanden, der irgendetwas fragen möchte?« Herr Weiß hob die Axt.
    Ein oder zwei Revisoren, die der allgemeinen Entwicklung ein wenig hinterherhinkten, öffneten den Mund. Und schlossen ihn wieder.
    Lu-Tze wich einige Schritte zurück. Er war sehr stolz auf sein Geschick, sich selbst aus den schwierigsten Situationen herauszureden, doch dazu war am anderen Ende des Dialogs eine einigermaßen vernünftige Person erforderlich.
    Herr Weiß wandte sich an Lu-Tze. »Warum treibst du dich hier herum, Organischer?«
    Aber Lu-Tzes Aufmerksamkeit galt vor allem einer geflüsterten Konversation auf der anderen Seite einer nahen Mauer:
    »Der Wortlaut spielt doch überhaupt keine Rolle!«
    »Präzision ist wichtig, Susanne. Die kleine Karte auf der Innenseite des Deckels enthält eine genaue Beschreibung, sieh nur.«
    »Und du glaubst, damit jemanden beeindrucken zu können?«
    »Bitte. Wir sollten alles richtig machen.«
    »Ach, na schön. Gib mir den Deckel!«
    Herr Weiß näherte sich Lu-Tze mit gehobener Axt. »Es ist verboten…«, begann er.
    »Esst… Oh, meine Güte… Esst… ›eine köstliche Fondant-Zuckercreme, die eine überaus deliziöse und cremige Stachelbeerfüllung enthält und von mysteriöser dunkler Schokolade umgeben ist‹… ihr grauen Mistkerle!«
    Ein Regen aus kleinen Objekten prasselte auf die Straße. Mehrere zerbrachen.
    Lu-Tze hörte ein Summen, besser gesagt: eine Stille, geschaffen von der Abwesenheit eines Summens, an das er sich gewöhnt hatte.
    »O nein. Der Zauderer dreht sich nicht me…«
     
    Ronnie Soak betrat seine Molkerei und zog einen Schweif aus Rauch hinter sich her. Er sah jetzt wieder wie ein Milchmann aus, allerdings wie einer, der gerade Milch in ein brennendes Haus gebracht hatte.
    »Für wen hält er sich?«, murmelte er und schloss die Hand so fest um den makellosen Rand eines Tresens, dass Dellen im Metall entstanden. »Ha, o ja, sie schicken einen fort, aber wenn sie möchten, dass man zurückkehrt…«
    Das Metall unter seinen Fingern begann zu glühen, wurde weiß und verflüssigte sich.
    »Ich habe Kunden. Ich habe Kunden. Leute verlassen sich auf mich. Es mag keine Arbeit sein, die Kunden einbringt, aber die Leute brauchen immer Milch…«
    Er hob die Hand zur Stirn. Wo das geschmolzene Metall die Haut berührte, verdampfte es.
    Die Kopfschmerzen waren wirklich schlimm.
    Er erinnerte sich an die Zeit, als es nur ihn gegeben hatte. Es fiel ihm nicht leicht, sich daran zu erinnern, denn… Es gab nichts, keine Farben, keine Geräusche, keinen Druck, keine Zeit, keine Bewegung, kein Licht, kein Leben…
    Nur Kaos.
    Ein Gedanke formte sich: Möchte ich dorthin zurück? Zur perfekten Ordnung der Unveränderlichkeit?
    Weitere Gedanken folgten dem ersten wie kleine silbrige Aale in seinem Bewusstsein. Er war ein Reiter der Apokalypse, und zwar seit die Bewohner von Lehmhütten auf irgendeiner heißen Ebene vage

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