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Der Zeitdieb

Der Zeitdieb

Titel: Der Zeitdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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Fremden hielten, die dazu neigten, alles mit Creme auszustatten. Angeblich waren ihnen Pralinen mit folgenden Ingredienzen lieber: Milch, Zucker, Talg, Hufe, Lippen, diverses Ausgepresstes, Rattenkot, Putz, Fliegen, Nierenfett, Teile von Bäumen, Haare, Mull, Spinnen und zerriebene Kokosnussschalen. Nach den kulinarischen Maßstäben der großen Pralinenzentren in Borograwien und Quirm bedeutete das: die Pralinen von Ankh-Morpork wurden offiziell als »Käse« klassifiziert; nur die Farbe verhinderte, dass man sie der Kategorie »Fugenkitt« zuordnete.
    Susanne gestattete sich eine der billigeren Schachteln pro Monat. Und sie konnte jederzeit bei der ersten Schicht aufhören, wenn sie wollte.
    »Du brauchst mich nicht ins Geschäft zu begleiten«, sagte Susanne, als sie die Tür öffnete. Erstarrte Kunden standen am Ladentisch.
    »Bitte nenn mich Myria.«
    »Ich glaube nicht, dass ich…«
    »Bitte«, sagte Lady LeJean demütig. »Ein Name ist wichtig.«
    Plötzlich regte sich in Susanne so etwas wie Mitgefühl für das Wesen.
    »Na schön. Du brauchst mich nicht zu begleiten, Myria.«
    »Ich kann es aushalten.«
    »Aber ich dachte, Schokolade wäre eine praktisch unwiderstehliche Versuchung?«, fragte Susanne, die sich selbst unter Kontrolle hatte.
    »Das stimmt.«
    Sie sahen zu den Regalen hinter dem Ladentisch.
    »Myria… Myria«, sagte Susanne und sprach nur einige ihrer Gedanken laut aus. »Abgeleitet vom ephebianischen Wort myrios, das ›zahllos‹ bedeutet. Und LeJean dürfte auf ›Legion‹ zurückgehen… Meine Güte.«
    »Wir dachten, ein Name sollte über das betreffende Objekt oder die Person Auskunft geben«, erklärte Ihre Ladyschaft. »Und zu mehreren ist man sicherer. Tut mir Leid.«
    »Nun, dies ist das Basissortiment«, sagte Susanne und meinte damit den Inhalt der Regale. »Sehen wir uns im Hinterzimmer um… Ist alles in Ordnung mit dir?«
    »Es geht mir gut, es geht mir gut…« Lady LeJean schwankte.

»Du kommst doch nicht etwa auf die Idee, dir den Bauch voll zu schlagen?«
    »Wir… ich… habe Willenskraft. Der Körper sehnt sich nach den Pralinen, aber der Geist lehnt sie ab. Das sage ich mir zumindest. Und es muss stimmen! Der Geist ist stärker als der Körper! Welchen Zweck hat er sonst?«
    »Das habe ich mich oft gefragt«, erwiderte Susanne und öffnete eine andere Tür. »Ah. Die magische Höhle…«
    »Magie? Hier verwendet man Magie?«
    »Fast.«
    Lady LeJean stützte sich am Türrahmen ab, als sie die Tische sah.
    »Oh«, sagte sie. »Äh… ich erkenne… Zucker, Milch, Butter, Sahne, Vanille, Haselnüsse, Mandeln, Walnüsse, Rosinen, Orangenschalen, verschiedene Liköre, Zitruspektin, Erdbeeren, Stachelbeeren, Veilchenessenz, Kirschen, Ananas, Pistazien, Orangen, Limonen, Zitronen, Kaffee, Kakao…«
    »Nichts, vor dem man Angst haben müsste.« Susanne sah sich nach nützlichen Waffen um. »Kakao ist nur eine bittere Bohne.«
    »Ja, aber…« Lady LeJean ballte die Fäuste, schloss die Augen und fletschte die Zähne. »Wenn man alles miteinander vermischt…«
    »Ruhig, ganz ruhig…«
    »Der Wille ist stärker als Emotionen, der Wille ist stärker als Instinkte…«, intonierte die Revisorin.
    »Gut, und jetzt arbeite dich bis zu der Stelle mit ›Schokolade‹ vor.«
    »Das ist der schwierige Teil!«
    Als sie an den Bottichen und Tischen vorbeigingen, fand Susanne, dass Schokolade in diesem Zustand viel von ihrer Attraktivität verlor. Ein ähnlicher Unterschied wie zwischen kleinen Pigmenthaufen und dem vollständigen Bild. Sie griff nach einer Spritze, die für sehr persönliche Dinge bei weiblichen Elefanten bestimmt zu sein schien. Vermutlich gelangte sie bei den schnörkeligen Verzierungen zum Einsatz.
    Und hier stand ein kleines Fass mit Kakaolikör.
    Susannes Blick glitt über Tabletts mit Fondantcreme, Marzipan und Karamell. Und auf dem Tisch standen Seelenkucheneier. Aber nicht die hohlen, nach Pappe schmeckenden Geschenke für Kinder. O nein, dies waren die Konditor-Äquivalente von erlesenem Schmuck.
    Aus den Augenwinkeln sah sie eine Bewegung. Eine der statuenartigen Bäckerinnen stand halb über ein Tablett mit Pralinenträumen gebeugt und hatte kaum merklich ihre Position verändert.
    Zeit floss ins Zimmer. Hellblaues Licht glitzerte in der Luft.
    Susanne drehte den Kopf und bemerkte eine vage menschliche Gestalt, die neben ihr schwebte. Sie hatte keine besonderen Merkmale und war so transparent wie Dunst, doch ihre Stimme flüsterte hinter Susannes Stirn: Ich

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