Der Zeitdieb
Universums sein, was aber nicht heißen sollte, dass er den kleinen Leuten kein Interesse entgegenbrachte. Vielleicht galt das auch für Zeit.
Susanne lächelte.
Die Zeit wartet auf niemanden, hieß es.
Vielleicht hatte sie einmal auf jemanden gewartet.
Susanne fühlte einen Blick auf sich ruhen, drehte den Kopf und sah den Rattentod. Er starrte durch die Gläser der Brille, die dem zerstreuten Mann gehörte, der auf der anderen Seite des Raums danach suchte. Auf einer schon seit langer Zeit nicht mehr beachteten Büste eines früheren Historikers saß der Rabe und putzte sich.
»Nun?«, fragte Susanne.
QUIEK!
»Ach, tatsächlich?«
Die Tür der Bibliothek wurde vorsichtig aufgestoßen, und ein weißes Pferd kam herein. Normalerweise bezeichnete man solche Pferde als »Schimmel«, aber in diesem Fall musste selbst die krummbeinige Zukunft von einem weißen Ross sprechen. Es war nicht weiß wie Schnee, denn das ist ein totes Weiß, sondern weiß wie Milch, was ein lebendes Weiß bedeutet. Zaum und Zügel waren schwarz, ebenso der Sattel, doch diese Dinge dienten allein der Schau. Wenn das Pferd des Todes es jemandem gestattete, auf ihm zu reiten, so blieb die betreffende Person auf dem Rücken, was auch immer geschah. Die Anzahl der Personen, die das Pferd tragen konnte, unterlag keinen Beschränkungen. Immerhin brachen Epidemien manchmal ganz plötzlich aus.
Die Historiker beachteten das Ross überhaupt nicht. Pferde betraten keine Bibliotheken.
Susanne stieg auf. Sie hatte sich oft gewünscht, durch und durch menschlich und ganz und gar normal zu sein. Sie wäre bereit gewesen, alles aufzugeben…
… abgesehen von Binky.
Einen Augenblick später glühten vier Hufabdrücke wie Plasma in der Luft über der Bibliothek und verschwanden dann.
Tick
Man hörte nur das Knirschen der großen Yeti-Füße im Schnee und ein Flüstern, das vom ewigen Wind in den Bergen stammte.
Schließlich fragte Lobsang. »Als du gesagt hast ›Und dann kannst du ihm den Kopf abschlagen‹… Du hast doch nicht gemeint…?«
»Ich habe gemeint, den Kopf vom Körper zu trennen«, sagte Lu-Tze.
»Und er hat nichts dagegen?« Lobsang sprach noch immer im Tonfall einer Person, die vorsichtig jeden Aspekt der gespenstischen Höhle erforscht.
»Nuun, es ein wenig läästig ist«, sagte der Yeti. »Eine Aart Kunststück. Aaber es nichts dagegen einzuwenden gibt, wenn es hilft. Der Kehrer uuns immer ein guter Freund gewesen ist. Wir in seiner Schuuld stehen.«
»Ich habe versucht, ihnen den Weg zu zeigen«, sagte Lu-Tze stolz.
»Jaa«, bestätigte der Yeti. »Seehr nützlich. ›Wenn maan beobachtet einen Topf, das Waaser nie kocht.‹«
Hinter Lobsangs Stirn rang Neugier mit Ärger und gewann.
»Habe ich irgendetwas übersehen?«, fragte er. »Du stirbst nicht?«
»Ich nicht sterbe?«, erwiderte der Yeti. »Mit aabgeschlagenem Kopf? Sehr lustig! Ho. Ho. Naatürlich ich sterbe. Aber daas nicht weiter schlimm ist.«
»Wir brauchten Jahre, um herauszufinden, was es mit den Yetis auf sich hat«, sagte Lu-Tze. »Das Mandala konnte mit ihren Schleifen überhaupt nichts anfangen, bis der Abt eine Möglichkeit fand, sie ebenfalls zu berücksichtigen. Sie sind schon dreimal ausgestorben.«
»Dreimal?«, wiederholte Lobsang. »Das ist eine erstaunliche Leistung. Ich meine, die meisten Spezies schaffen das nur einmal.«
Der Yeti erreichte jetzt einen Wald mit höheren Bäumen. Kiefern ragten auf.
»Dies scheint ein geeigneter Ort zu sein«, sagte Lu-Tze. »Bitte, setz uns ab.«
»Und dann enthaupten wir dich«, fügte Lobsang hinzu. »Meine Güte, was sage ich da? Ich schlage niemandem den Kopf ab!«
»Du hast doch gehört, dass er nichts dagegen hat«, meinte Lu-Tze, als der Yeti sie vorsichtig absetzte.
»Darum geht es nicht!«, entgegnete Lobsang mit Nachdruck.
»Es ist sein Kopf«, betonte Lu-Tze.
»Ja, aber ich möchte ihn nicht abschlagen!«
»Nun, in dem Fall…« Lu-Tze überlegte kurz. »Steht nicht geschrieben ›Wenn du etwas richtig erledigt haben möchtest, so übernimm die Sache selbst‹?«
»Jaa, das geschrieben steht«, brummte der Yeti.
Lu-Tze nahm das Schwert aus Lobsangs Hand. Er hielt es vorsichtig, wie jemand, der nicht an Waffen gewöhnt ist. Der Yeti war so freundlich, sich niederzuknien.
»Bist du vorbereitet?«, fragte Lu-Tze.
»Jaa.«
»Ich kann nicht glauben, dass du wirklich vorhast, ihm den Kopf abzuschlagen!«, sagte Lobsang.
»Interessant«, erwiderte Lu-Tze. »Frau Kosmopilit
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