Der Zeitdieb
Zifferblatts entworfen, und die einzelnen Teile waren aus Glas hergestellt. Es gab überhaupt keine Verbindung mit dem anderen Mechanismus, der hinter dem Pendel schimmerte und flackerte und nach dem Zusammenbau beunruhigend wenig Platz beanspruchte. Ziemlich viele Teile befanden sich in anderen Dimensionen als der Rest. Aber die Uhr hatte ein Zifferblatt, und ein Zifferblatt brauchte Zeiger, und deshalb schwang das Glaspendel hin und her, und die gläsernen Zeiger bewegten sich, zeigten ganz normale Zeit an. Das Ticken zeichnete sich durch eine glockenartige Qualität aus, als stieße jemand mit dem Fingernagel an ein Weinglas.
Igor blickte auf seine Hände hinab, die von seinem Großvater stammten. Jetzt, da die gläserne Uhr wie eine Uhr aussah, begannen sie immer dann zu zittern, wenn Igor sich ihr näherte.
Tick
Niemand bemerkte Susanne in der Bibliothek der Historiker. Ungestört blätterte sie dort in Büchern und machte sich gelegentlich Notizen.
Sie wusste nicht, ob ihr anderes Talent von Tod stammte, aber den Kindern sagte sie immer, dass sie ein faules und ein fleißiges Auge hatten. Es gab zwei Möglichkeiten, die Welt zu sehen. Das faule Auge sah nur die Oberfläche. Das fleißige Auge blickte in die Realität darunter.
Sie blätterte um.
Mit dem fleißigen Auge betrachtet wirkte die Geschichte sehr sonderbar. Ganz deutlich waren die Narben zu erkennen. Zum Beispiel erwies sich die Geschichte des Landes Ephebe als sehr verwirrend. Entweder erfreuten sich die berühmten ephebianischen Philosophen eines besonders langen Lebens, oder sie hatten ihre Namen vererbt. Oder es waren zusätzliche Stücke in die historische Struktur genäht worden. Die Geschichte von Omnien erschien Susanne als einziges Durcheinander. Es sah aus, als seien zwei Jahrhunderte zu einem gefaltet worden, und so etwas konnte nur wegen der besonderen Denkweise der Omnianer unbemerkt bleiben, deren Religion Vergangenheit und Zukunft mit der Gegenwart vermischte.
Und dann das Koomtal. Jeder wusste, dass dort eine Schlacht stattgefunden hatte, zwischen Zwergen, Trollen und Söldnern auf beiden Seiten. Aber wie oft? Historiker meinten, das Tal befände sich genau an der richtigen Stelle in umstrittenem Gebiet, um zum Schauplatz für Konfrontationen aller Art zu werden. Aber ebenso leicht konnte man glauben – zumindest dann, wenn man Tod als Großvater hatte –, dass ein passender Flicken mehrmals mit dem Gefüge der Zeit verschweißt worden war, so dass verschiedene Generationen immer wieder die gleiche dumme Katastrophe erleben mussten, wobei sie »Erinnert euch ans Koomtal!«, riefen. 13
Überall gab es Anomalien.
Und niemand bemerkte sie.
Das musste man den Menschen lassen. Sie verfügten über eine der stärksten Mächte im Universum. Selbst Susannes Großvater kam gelegentlich darauf zu sprechen. Keine andere Spezies irgendwo auf der Welt hatte die Langeweile erfunden. Vielleicht war es Langeweile und nicht Intelligenz, die die Menschen dazu veranlasst hatte, auf der Leiter der Evolution nach oben zu klettern. Auch Trolle und Zwerge verfügten über die seltsame Fähigkeit, das Universum zu betrachten und zu denken: »Oh, genau wie gestern, wie langweilig. Was passiert wohl, wenn ich diesen Stein gegen den Kopf dort schlage?«
Damit einher ging eine entgegengesetzte Kraft, die Dinge normal machte. Die Welt veränderte sich grundlegend, und einige Tage später hielten Menschen alles für normal. Erstaunlicherweise waren sie dazu fähig, nicht passende Dinge einfach auszuklammern und zu vergessen. Sie erfanden kleine Geschichten, um das Unerklärliche zu erklären, um alles normal werden zu lassen.
Historiker verstanden sich besonders gut darauf. Wenn es plötzlich danach aussah, als sei im vierzehnten Jahrhundert kaum etwas geschehen, entwickelten sie zwanzig verschiedene Theorien. Nicht eine einzige ging davon aus, dass ein großer Teil der Zeit weggeschnitten und ins neunzehnte Jahrhundert genäht worden war, wo der Große Zusammenbruch nicht genug zusammenhängende Zeit zurückgelassen hatte, damit alle notwendigen Dinge geschehen konnten. Immerhin dauert es nur eine Woche, um das Kummet zu erfinden.
Die Geschichtsmönche hatten gute Arbeit geleistet, aber ihr größter Helfer war die menschliche Fähigkeit des narrativen Denkens. Es fiel ihnen nicht weiter schwer, den Erfordernissen gerecht zu werden. Sie sagten Dinge wie »Schon Donnerstag? Was ist mit der Woche passiert?«, und »Die Zeit scheint in diesen
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