Der Zeitdieb
weiß, wer sich wo im Haus aufhält – bis die betreffenden Personen möchten, dass er es weiß.
Mit dem Rücken voran passierte er die Tür der Werkstatt und hinkte dann rasch zur Küche, wo Jeremy ruhig einen Löffel Medizin in den Ausguss schüttete.
»Die Frau ift da«, sagte er. »Und fie hat Anwälte mitgebracht.«
Jeremy streckte die Hand mit der Handfläche nach unten aus und betrachtete sie kritisch.
»Siehst du, Igor?«, fragte er. »Wir sind fast am Ende unseres großen Werks, und ich bin völlig ruhig. Man könnte ein Haus auf meiner Hand bauen – sie zittert nicht ein bisschen.«
»Anwälte, Herr«, wiederholte Igor, und eine besondere Betonung verlieh dem Wort zusätzliche Bedeutung.
»Und?«
»Wir haben fiemlich viel Geld bekommen«, sagte Igor mit dem Nachdruck eines Mannes, der sich einen kleinen, aber angemessenen Teil des Goldes in die eigene Tasche gesteckt hatte.
»Und die Uhr ist fertig«, erwiderte Jeremy und beobachtete noch immer seine Hand.
»Feit Tagen haben wir die Uhr immer wieder faft fertig«, sagte Igor finster. »Wenn fie nicht gewefen wäre, hätten wir daf Gewitter vor fwei Tagen aufnutfen können.«
»Wann kommt das nächste?«
Igor verzog das Gesicht und schlug sich zweimal mit der flachen Hand an die Schläfe.
»Derfeitige Wetterlage: unbeftändig, mit einem Tiefdruckgebiet, daf fich vom Rand nähert«, sagte er. »Bei dem unfuverläffigen Wetter hier in Ankh-Morpork kann ich nichtf verfprechen. Ha, daheim in Überwald beginnt daf nächfte Gewitter, fobald man die Eifenftange auf das Dach montiert. Waf foll ich mit den Anwälten machen?«
»Führ sie herein. Wir haben nichts zu verbergen.«
»Bift du ficher, Herr?«, fragte Igor, dessen Reisetasche nicht mit einer Hand angehoben werden konnte.
»Ja, das bin ich, Igor.«
Jeremy strich sein Haar glatt, als der grummelnde Igor im Laden verschwand und mit den Besuchern zurückkehrte.
»Lady LeJean, Herr. Und einige andere… Perfonen«, brummte Igor.
»Es freut mich, dich wiederzusehen, Lady«, sagte Jeremy und lächelte gläsern. Er erinnerte sich vage an etwas, das er gelesen hatte. »Möchtest du mich nicht deinen Freunden vorstellen?«
Lady LeJean bedachte ihn mit einem nervösen Blick. Oh, ja… Menschen fragten immer nach Namen. Und er lächelte wieder. Dadurch fiel es ihr so schwer zu denken.
»Herr Jeremy, dies sind meine… Assistenten«, sagte sie. »Herr Schwarz. Herr Grün. Frau Braun. Frau Weiß. Frau… Gelb. Und Herr Blau.«
Jeremy streckte die Hand aus. »Freut mich, euch kennen zu lernen«, sagte er.
Sechs Augenpaare starrten verständnislos auf die dargebotene Hand.
»Hier ist es Brauch, die Hände zu schütteln«, sagte Ihre Ladyschaft.
Die Revisoren streckten synchron eine Hand aus und schüttelten sie in der leeren Luft.
»Nein, ich meine die Hand einer anderen Person«, meinte Lady LeJean. Sie schenkte Jeremy ein dünnlippiges Lächeln. »Sie sind Ausländer«, erklärte sie.
Und sie erkannte die Panik in ihren Augen, auch wenn sie sich ihr selbst nicht bewusst wurden. Wir können die Atome in diesem Zimmer zählen und klassifizieren, dachten die Revisoren. Wie kann es etwas geben, das wir nicht verstehen?
Es gelang Jeremy, nach einer wackelnden Hand zu greifen. »Und du bist…«
Der Revisor richtete einen besorgten Blick auf Lady LeJean.
»Herr Schwarz«, sagte sie.
»Ich dachte, wir wären Herr Schwarz«, sagte ein anderer Revisor im Körper eines männlichen Menschen.
»Nein, du bist Herr Grün.«
»Aber wir würden es vorziehen, Herr Schwarz zu sein. Unser Rang ist höher, und die Farbe Schwarz hat größere Bedeutung. Wir möchten nicht Herr Grün sein.«
»Ich glaube, die Übersetzung eurer Namen ist nicht so wichtig«, sagte Lady LeJean. Sie wandte sich mit einem weiteren Lächeln an Jeremy. »Sie sind meine Buchhalter«, fügte sie hinzu. Irgendwo hatte sie gelesen, dass dies die meisten Merkwürdigkeiten erklärte.
»Na bitte, Igor«, sagte Jeremy. »Es sind einfach nur Buchhalter.«
Igor schnitt eine Grimasse. Im Hinblick auf seine Reisetasche waren Buchhalter vermutlich noch schlimmer als Anwälte.
»Grau wäre akzeptabel«, ließ sich Herr Grün vernehmen.
»Trotzdem bist du Herr Grün. Wir sind Herr Schwarz. Es ist eine Frage des Status.«
»Weiß hat einen höheren Status als Schwarz«, meinte Lady LeJean. »Schwarz ist die Abwesenheit von Farbe.«
»Ein guter Hinweis«, sagte Herr Schwarz. »Deshalb sind wir jetzt Herr Weiß. Du bist Frau Rot.«
»Zuvor
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