Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Zeitdieb

Der Zeitdieb

Titel: Der Zeitdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
Vom Netzwerk:
»Äh, warum flüstern wir?«
    »Sieh dir den Vogel an.«
    Er saß auf einem Zweig, in der Nähe einer Astgabel neben etwas, das nach einem Vogelhaus aussah. In der einen Kralle hielt er ein rundes Stück Holz und pickte daran.
    »Offenbar repariert er ein altes Nest«, vermutete Lu-Tze. »Um diese Jahreszeit können sie noch nicht so weit sein.«
    »Sieht nach einem Kasten aus«, sagte Lobsang. Er sah genauer hin. »Ist es vielleicht eine alte… Uhr?«
    »Erkennst du, woran der Vogel pickt?«, fragte Lu-Tze.
    »Nun, es scheint ein einfaches… Zahnrad zu sein. Aber warum…«
    »Was du dort siehst, mein Junge, ist ein Uhrkuckuck. Vermutlich ein junges Exemplar, und er baut ein Nest, um einen Partner anzulocken. Die Chancen dieses Vogels sind nicht besonders groß. Die Zahlen stehen an den falschen Stellen, und er hat die Zeiger schief angebracht.«
    »Ein Vogel, der Uhren baut? Ich hielt eine Kuckucksuhr immer für eine Uhr mit einem mechanischen Kuckuck, der…«
    »Und woher, glaubst du, haben die Leute eine so ausgefallene Idee?«
    »Aber das grenzt an ein Wunder!«
    »Warum?«, erwiderte Lu-Tze. »Kuckucksuhren gehen meistens nur eine halbe Stunde lang und nie richtig. Außerdem verzweifeln die dummen Männchen bei dem Versuch, sie aufzuziehen.«
    »Trotzdem…«
    »Ich schätze, alles geschieht irgendwo«, sagte Lu-Tze. »Warum deshalb Aufhebens machen? Ist noch Proviant übrig?«
    »Nein«, sagte Lobsang. »Gestern Abend haben wir den letzten Rest verbraucht.« Hoffnungsvoll fügte er hinzu: »Äh… Ich habe gehört, dass sehr fortgeschrittene Mönche von der, äh, Lebenskraft in der Luft leben können…«
    »Das dürfte wohl nur auf dem Planeten Würstchen möglich sein«, entgegnete Lu-Tze. »Nein, wir machen einen Bogen um Kupferkopf und suchen uns etwas in den Tälern auf der anderen Seite. Gehen wir. Wir haben nicht viel Zeit.«
    Aber genug, um einen Vogel zu beobachten, dachte Lobsang, als er die Welt um sich herum blau und blass werden ließ. Es war ein beruhigender Gedanke.
    Ohne den Schnee kam er leichter voran, vorausgesetzt er mied den sonderbaren Widerstand von Büschen und hohem Gras. Lu-Tze ging vor ihm, wirkte sonderbar bunt und unwirklich in der verblassten Landschaft.
    Sie kamen an den Zugängen der Zwergenminen vorbei, begegneten aber niemandem. Dafür war Lobsang dankbar. Am vergangenen Tag hatte er in einem Dorf die Statuen von lebenden Personen gesehen, die in einer anderen Zeit erstarrt waren. Lu-Tze hatte ihm ausdrücklich verboten, sich einer jener Statuen zu nähern, aber das war unnötig gewesen. Es schien aufdringlich zu sein, um einen Erstarrten herumzugehen. Und es wurde noch schlimmer, wenn man merkte, dass sich die betreffende Person ganz, ganz langsam bewegte…
    Die Sonne schwebte noch immer dicht über dem Horizont, als sie durch die wärmeren Wälder auf der randwärtigen Seite der Berge kamen. Hier wirkte die Landschaft gezähmter: Dies war kein Wald mehr in dem Sinne, sondern Waldland. An einer Stelle führte der Pfad, dessen Verlauf sie folgten, über einen Bach. Wagenspuren zeigten sich dort, alt zwar, aber nicht überwachsen.
    Lobsang sah zurück, als er die Furt überquert hatte. Langsam füllte das Wasser seine Fußstapfen.
    Auf den Schneefeldern über dem Tal war er im Schneiden der Zeit ausgebildet worden, so wie auch die anderen Novizen. Dort konnten sie keinen Schaden anrichten, hatten die Mönche erklärt, obwohl niemand andeutete, welche Art von Schaden angerichtet werden konnte. Zum ersten Mal schnitt Lobsang die Zeit nun in einer lebenden Landschaft.
    Es war wundervoll! Vögel hingen am Himmel. Hummeln schwebten über sich öffnenden Blütenkelchen. Die Welt kam einem Kristall aus lebenden Dingen gleich.
    Neben einigen grasenden Hirschen blieb er stehen und beobachtete, wie sich ein Auge des nächsten Tiers mit geologischer Langsamkeit in seine Richtung drehte. Er sah, wie Haut in Bewegung geriet, als sich die Muskeln darunter in Vorbereitung der Flucht spannten…
    »Zeit für eine Fluppe«, sagte Lu-Tze.
    Die Welt um Lobsang herum erfuhr eine Beschleunigung. Der Hirsch stob davon, zusammen mit dem besonderen Zauber des Augenblicks.
    »Was ist eine Fluppe?«, fragte Lobsang. Er war verärgert, denn er hatte die langsame, ruhige Welt als sehr angenehm empfunden.
    »Bist du jemals in Viericks gewesen?«
    »Nein. Ich glaube, der Wirt der ›Weintraube‹ stammt von dort.«
    Lu-Tze entzündete eine seiner dünnen Zigaretten.
    »Das bedeutet nicht viel«,

Weitere Kostenlose Bücher