Der Zeitdieb
sagte Lobsang fest.
Der Chefakolyth sah sich um, fand aber nirgends Hilfe. Die anderen
ranghohen Vertreter des Klosters verspürten nicht den Wunsch, sich der rosaroten Wolke der Verlegenheit hinzuzugesellen. Der Abt blubberte
nur vor sich hin und lächelte das wissende Lächeln aller Babys auf der Welt.
»Haben wir… äh… statten wir Kehrer mit… Verfügen wir
zufälligerweise über…«, murmelte der Akolyth.
360
Lu-Tze trat hinter ihn. »Kann ich irgendwie helfen, Euer Akolythität?«, fragte er mit einer irren Unterwürfigkeit, die gar nicht zu seinem
normalen Gebaren passte.
»Lu-Tze? Ah… äh… ja… äh…«
»Ich könnte eine fast neue Kutte holen, Herr, und der Junge kann
meinen Besen haben, wenn du mir einen Zettel schreibst, der es mir
erlaubt, einen neuen aus dem Lager zu holen, Herr«, sagte er und
schwitzte Hilfsbereitschaft aus jeder Pore.
Der Chefakolyth reagierte wie ein Ertrinkender, der einen Rettungsring vorbeischwimmen sieht.
»Oh, wärst du so nett, Lu-Tze? Das ist wirklich sehr freundlich von
dir…«
Lu-Tze sauste als hilfsbereiter Schemen davon und überraschte damit
auch jene, die ihn zu kennen glaubten.
Kurz darauf erschien er mit einem Besen und einer Kutte, die weiß
und dünn war, weil man sie am Fluss oft auf Steine geschlagen hatte.
Würdevoll reichte er sie dem Chefakolythen.
»Äh, danke, äh, gibt es eine besondere Zeremonie für, äh…«, stotterte der Mann.
»Eine ganz einfache, Herr«, sagte Lu-Tze, der noch immer Eifer
verströmte. »Die Formulierung steht nicht genau fest, Herr, aber für gewöhnlich sagen wir: ›Dies ist deine Kutte, geh vorsichtig mit ihr um, denn sie gehört dem Kloster.‹ Und beim Besen sagen wir etwas in der
Art von ›Hier ist dein Besen, behandle ihn gut, denn er ist dein Freund, und du musst mit einer Geldbuße rechnen, wenn du ihn verlierst, denk daran, dass Besen nicht auf Bäumen wachsen‹, Herr.«
»Äh… ähm…«, murmelte der Chefakolyth. »Und der Abt…?«
»Oh, der Abt lässt sich nicht dazu herab, einem Kehrer Kutte und
Besen zu geben, Herr«, warf Lobsang rasch ein.
»Lu-Tze, wer, äh, kümmert sich um, äh…«
»Normalerweise der rangälteste Kehrer, Euer Akolythität.«
»Oh? Und, äh, bist du zufälligerweise…?«
Lu-Tze verbeugte sich. »Ja, Herr.«
361
Für den Chefakolythen, der noch immer in aufgewühlten Fluten
schwamm, war dies ebenso willkommen wie die Aussicht auf trockenes
Land. Er strahlte wie jemand, der gerade den Verstand verloren hatte.
»Ich frage mich, ja, ich frage mich, ob du so freundlich wärst, äh…«
»Mit Vergnügen, Herr.« Lu-Tze drehte sich um. »Jetzt sofort, Herr?«
»Oh, ja, bitte!«
»Wie du wünschst. Tritt vor, Lobsang Ludd!«
»Ja, Kehrer!«
Lu-Tze streckte ihm die abgetragene Kutte und den alten Besen
entgegen. »Besen! Kutte! Verlier sie nicht, denn wir sind nicht Krösus!«, verkündete er.
»Ich bedanke mich dafür«, erwiderte Lobsang. »Ich fühle mich geehrt.«
Er verneigte sich. Ebenso Lu-Tze. Als ihre Köpfe dicht beisammen
und auf einer Höhe waren, flüsterte Lu-Tze: »Welch eine Überraschung.«
»Danke.«
»Hübsch mythisch, die ganze Sache. Gut für Schriftrollen geeignet,
aber hart an der Grenze zur Selbstgefälligkeit. Versuch so etwas nicht noch einmal.«
»In Ordnung.«
Sie richteten sich wieder auf.
»Äh, und was passiert jetzt?«, fragte der Chefakolyth. Er war ein
gebrochener Mann, und er wusste es. Nach dieser Sache konnte nichts
mehr so sein wie vorher.
»Nicht viel«, erwiderte Lu-Tze. »Kehrer kehren einfach. Du nimmst die Seite, Junge, und ich diese.«
»Aber er ist die Zeit!«, entfuhr es dem Chefakolythen. »Wens Sohn! Es gibt so viele Fragen, die wir ihm stellen müssen!«
»Es gibt viel, über das ich keine Auskunft geben werde«, sagte Lobsang und lächelte. Der Abt beugte sich vor und sabberte ins Ohr des
Chefakolythen.
Er gab auf. »Natürlich steht es uns nicht zu, dich zu befragen«, meinte er und wich zurück.
362
»Da hast du völlig Recht«, bestätigte Lobsang. »Ich schlage vor, ihr setzt nun eure wichtige Arbeit fort, denn dieser Platz erfordert meine ganze Aufmerksamkeit.«
Die ranghohen Mönche winkten sich gegenseitig zu, und
widerstrebend ging das Klosterpersonal davon.
»Man wird uns von allen möglichen Verstecken aus beobachten«,
murmelte Lu-Tze, als die beiden Kehrer allein waren.
»O ja«, sagte Lobsang.
»Nun, wie geht es dir?«
»Gut. Und meine Mutter ist glücklich.
Weitere Kostenlose Bücher