Der Zeitdieb
Yetis
heimgesuchten Tälern unweit der Scheibenweltmitte nach Erleuchtung
sucht, so stehen die ersten Worte, die der Betreffende liest, in Das Leben des ewig überraschten Wen.
Und die erste Frage des Lesers lautet: »Warum war er ewig
überrascht?«
Und dann erfährt er: »Wen dachte über die Natur der Zeit nach und
begriff, dass das Universum von Augenblick zu Augenblick neu
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erschaffen wird. Deshalb, so wurde ihm klar, gibt es in Wahrheit gar keine Vergangenheit, nur die Erinnerung daran. Man zwinkert, und die Welt, die man danach sieht, existierte noch nicht, als die Augen
geschlossen waren. Deshalb, so schlussfolgerte Wen, kann es für das
Bewusstsein nur einen angemessenen Zustand geben: Überraschung.
Und der einzige angemessene Zustand für das Herz ist Freude. Den
Himmel, den man jetzt sieht, hat man noch nie zuvor gesehen. Der
perfekte Moment ist jetzt. Freu dich darüber.«
Die ersten Worte, die der junge Lu-Tze las, als er in der dunklen,
hektischen und regennassen Stadt Ankh-Morpork nach Verblüffung
suchte, lauteten: »Zimmer zu vermieten, bequem und billig.« Er freute sich darüber.
Tick
Wo sich das Land für Getreide eignet, werden die Bewohner Bauern. Sie kennen den Geschmack von gutem Boden und bauen Getreide an.
Wo sich das Land für Stahl eignet, lassen Hochöfen den Himmel des
Nachts so rot glühen wie beim Sonnenuntergang. Die Hämmer ruhen
nie. Sie stellen Stahl her.
Es gibt Kohleland, Rindfleischland und Grasland. Die Welt ist voller Land, in dem Dinge dem Land selbst und seinen Bewohnern Gestalt
geben. Und hier oben in den hohen Tälern bei der Mitte, wo der Schnee nie sehr weit entfernt ist, erstreckt sich Erleuchtungsland.
Hier wohnen Leute, die wissen, dass es gar keinen Stahl gibt, nur die Vorstellung davon.* Sie benennen neue Dinge, und auch Dinge, die gar nicht da sind. Sie suchen nach der Essenz des Seins und der Natur der Seele. Sie schaffen Weisheit.
Tempel stehen in allen Gletschertälern, in denen der Wind selbst im
Hochsommer Eiskristalle mit sich trägt.
* Trotzdem verwenden sie Gabeln oder zumindest die Vorstellung von Gabeln.
Vielleicht haben die Philosophen Recht, wenn sie sagen, dass keine Löffel existieren, aber das führt zu der Frage, warum es die Vorstellung von Suppe gibt.
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Hier leben die Lauschenden Mönche, die im Lärm der Welt nach den
schwachen Echos der Geräusche horchen, die das Universum in
Bewegung setzten.
Hier leben die Brüder von Kühl, eine sehr zurückhaltende und
verschlossene Sekte, die glaubt, dass man das Universum nur mit kühler Kaltschnäuzigkeit verstehen kann. Außerdem sind die Brüder davon
überzeugt, dass Schwarz zu allem passt und Chrom nie ganz aus der
Mode gerät.
In ihrem Schwindel erregend hohen und von Seilen durchzogenen
Tempel prüfen die Balancierenden Mönche die Spannung der Welt und
unternehmen lange, gefährliche Reisen, um ihr Gleichgewicht
wiederherzustellen. Das Ergebnis ihrer Bemühungen sieht man auf
hohen Bergen und fernen Inseln in Form von kleinen Messinggewichten, keins von ihnen größer als eine Faust. Sie funktionieren. Es besteht gar kein Zweifel daran, dass sie funktionieren, denn bisher ist die Welt noch nicht umgekippt.
Und im höchsten, grünsten und luftigsten Tal von allen, wo Aprikosen angebaut werden und selbst an den wärmsten Tagen Eis auf den Bächen
treibt, steht das Kloster Oi Dong mit den kämpfenden Mönchen des
Ordens von Wen. Die anderen Sekten nennen sie die
Geschichtsmönche. Über ihre Aktivitäten weiß man kaum etwas.
Allerdings hat man sich gelegentlich darüber gewundert, dass es in ihrem kleinen Tal immer ein wundervoller sonniger Frühlingstag ist und die Kirschbäume ständig blühen.
Gerüchten zufolge sorgen die Geschichtsmönche dafür, dass das
Morgen auf der Grundlage eines mystischen Plans geschieht, der von
einem immerzu überraschten Mann ausgearbeitet wurde.
Seit einiger Zeit – es wäre unmöglich und lächerlich zu sagen, seit
wann – ist die Wahrheit weitaus seltsamer und gefährlicher.
Die Aufgabe der Geschichtsmönche besteht darin, sicherzustellen, dass es überhaupt ein Morgen gibt.
Der Novizenmeister traf sich mit Rinpo, dem Chefakolythen des Abts.
Derzeit war das Amt des Chefakolythen sehr wichtig. In seinem
gegenwärtigen Zustand brauchte der Abt Hilfe bei vielen Dingen, und
seine Aufmerksamkeit währte nie sehr lange. Unter solchen Umständen
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ist immer jemand bereit, die Bürde zu tragen. Rinpos
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