Der Zeitspieler
regenerativer Prozeß wechselseitiger Übermittlung von zum Überleben notwendiger Energieelemente. Die äußerst komplexe Beziehung hatte die deutlichen Charakteristiken einer Liebesverbindung.
Cargill beobachtete den See eine Weile und schaltete sich in die Telepathie der beiden ein. Dann überquerte er – ohne die geringsten Schwierigkeiten – das Nichts zu dem anderen Wesen. Er kam zu einem Ort mit zerklüfteten Bergen, die bis zum Horizont von unfruchtbarer graubrauner Erde umgeben waren. Auf dem Gipfel eines Berges stand eine gigantische Statue. Sie war von einer stumpfschwarzen Substanz und hatte keine Menschenähnlichkeit. Und doch wußte Cargill, daß ein Versuch unternommen worden war, ihr Form zu geben und ein Leben auf einer höheren Ebene als jene des Sees.
Die Idee eines beweglichen Lebens war ihm noch nicht gekommen. Er selbst bewegte sich nicht. Es gab keinen Raum, außer dem, den er sich vorstellte, und nur der See und die Statue hatten Zeit in sich. Es war ein genialer Schöpfungsprozeß, so wie er ihn sich ursprünglich gedacht hatte. Indem er sich den Raum vorstellte, ein Konzept hoher und niedriger Wellen (um so den Energiestrom in Fluß zu bringen), und den Energiefluß verlangsamte, bis er Materie zu sein schien, weckte er in dem See und der Statue den Glauben, daß sie etwas waren und besaßen. Danach kämpften sie um die Aufrechterhaltung dieser Illusion. Es kostete sie soviel ihrer »Energie«, daß sie keine »Zeit« hatten, eine andere Realität zu finden.
Das Bild begann zu verschwimmen. Er wollte es festhalten, aber er erkannte, daß es nur eine zufällige Verbindung zu einer uralten Erinnerung und nur insofern wichtig gewesen war, als es ihm half, eine Starre seines gegenwärtigen Seins zu überwinden. Es bedeutete, daß er einen Augenblick frei gewesen war. Er schätzte, ohne Einzelheiten zu kennen, daß es Millionen dieser Bilder gab – irgendwo.
Er schien im Bett zurück zu sein und wollte gerade in einen angenehmen Schlaf hinüberdämmern, als ihn die Erkenntnis zurückhielt: er war noch nicht vollständig. Das Gefühl, in der Schwebe zu hängen, blieb. Wieder sah er die geometrische Skizze – und diesmal schaute sie weniger bedrohlich aus. Die Striche oder Fasern waren nicht gefranst, das Ganze wirkte stabiler – aber es bewegte sich! Während er die Skizze beobachtete, schwankte und wogte sie, als stochere etwas blindlings darin herum.
Sein erstes flüchtiges Bewußtsein von etwas Konkreterem war von kühlen Laken und dem antiseptischen Geruch eines Krankenhauses. Er erwachte wie aus tiefem Schlaf und war sich sofort eines erstaunlichen Wohlbefindens bewußt. Er blieb reglos mit geschlossenen Augen liegen und war glücklich über dieses Gefühl.
Ohne darüber nachdenken zu müssen, wußte er, daß er sich hier nicht im Schlafzimmer in Ann Reeces Haus befand. Es schien ihm alles weit entfernt, wenn auch nicht ganz so weit wie noch vor ein paar Minuten. Der See war wahrhaftig fern gewesen. Das andere – nun, er wußte es nicht.
Er rätselte über seine verschiedenen Gefühle nach, als plötzlich eine Frau fragte: »Wie lange noch?« Es war nicht Ann Reeces Stimme. Und deshalb öffnete er auch die Augen nicht. Er vernahm gedämpfte Schritte auf einem Teppichboden, und dann erwiderte ein sympathischer Bariton: »Ich gebe Ihnen Bescheid, wenn er aufwacht. Schließlich konnten wir uns die Gelegenheit nicht entgehen lassen. Alles mußte augenblicklich, ohne Vorbereitung geschehen.«
»Hätte unsere Zeitkontrolle es denn nicht ermöglichen können, es besser zu machen?« Die Frauenstimme klang verdrossen.
»Wir haben keine Kontrolle über die zweite Krümmung hinaus. Die Kluft zwischen unserem gegenwärtigen 7301 und dem vierundzwanzigsten Jahrhundert ist so groß, daß ...«
Sie unterbrach ihn. »Ich kenne diese Argumente. Geben Sie mir sofort Bescheid, wenn er aufwacht.«
Cargill hatte das Gefühl, daß sie davonschritt, und öffnete die Augen einen winzigen Spalt. Er sah eine leichtbekleidete Frau, die an der Tür stehengeblieben war und sich umdrehte.
»Ich habe ein ungutes Gefühl«, sagte sie. »Als wäre alles irgendwie außerhalb unserer Kontrolle.«
»Madame, das dürfte auch noch einige Zeit so bleiben.«
Aus dem Augenwinkel sah Cargill nun auch einen grauhaarigen Mann mit jugendlichem Gesicht, der offenbar konsterniert bemerkt hatte, daß Cargill gar nicht mehr schlief. Er machte die Frau, die jetzt das Zimmer verließ, jedoch nicht darauf aufmerksam,
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