Der Zeitspieler
sondern schloß die Tür hinter ihr. Jetzt sah er Cargill forschend an, und offensichtlich schien er zufrieden. »Ich bin Lan Bruch«, stellte er sich vor, »und möchte Ihnen versichern, daß Sie sich in keiner Gefahr befinden. Alle Ihre Fragen werden bald beantwortet werden.« Er drehte an den Knöpfen eines kleinen Geräts neben dem Bett. Sofort machte Cargills erwartungsvolle Ungeduld einer angenehmen Müdigkeit Platz, und er schlief wieder ein.
Als er erneut erwachte, schien ihm das Gefühl des Wohlbefindens noch ausgeprägter als beim erstenmal, und er verspürte einen ungeheuren Tatendrang. Er sprang in einem weiten Satz aus dem Bett und landete wie ein Akrobat mit vollendeter Körperbeherrschung in der Mitte des Zimmers. Der Sprung überraschte ihn. Er hatte den Wunsch danach gehabt, und schon war er ausgeführt gewesen.
Er blickte an sich hinunter. Er war nackt, doch der sonnengebräunte muskulöse und geschmeidige Körper war ganz sicher nicht sein eigener. Vom Schlafzimmer führte eine Tür in ein Bad. Er betrat es und betrachtete sein Gesicht im Spiegel. Zuerst glaubte er nicht, daß es seines war. Doch dann war er nicht mehr so sicher. Zweifellos sah er jünger und gleichzeitig abgeklärter aus.
Gar nicht unzufrieden stieg er unter die Dusche. Er machte sich keine übermäßigen Gedanken, was mit ihm geschehen sein mochte. Automatisch suchte er nach Rasierzeug, doch plötzlich wußte er, daß er es nie mehr brauchte. Das gab ihm doch wieder zu denken. Aber der Mann hatte gesagt, er würde auf alles Antwort bekommen.
Als Cargill aus dem Badezimmer trat, kam Bruch gerade durch die Tür vom Gang. Er gab Cargill ein togaähnliches Kleidungsstück, in das er nur hineinzuschlüpfen brauchte. Dann wartete er an einem Tisch neben dem Fenster auf ihn. Das Fenster war zuvor so geschickt verhängt gewesen, daß er es nicht einmal bemerkt hatte. Cargill schritt geradewegs darauf zu. Unwillkürlich weiteten sich seine Augen. Strahlende Sonne drang durch die Scheiben, und soweit sein Blick reichte, sah er Berggipfel. Unter einer ziemlich dichten Wolkendecke bemerkte er verschwommen die Umrisse von Häusern.
»Setzen Sie sich doch«, forderte Bruch ihn auf. »Frühstücken Sie und genießen Sie dabei die herrliche Aussicht.«
Cargill drehte sich um. Das war ja wie im Märchen, ein echtes Tischlein-deck-dich. Die Platte, die noch vor einer Sekunde leer gewesen war, quoll nun fast über von dem reichlichen Frühstück. In zwei Tassen dampfte aromatischer Kaffee, daneben standen Schüsseln. Teller, Besteck, Zucker und Sahne ließen die Szene wieder völlig normal erscheinen. Cargill zog genußvoll den Kaffeeduft ein, dann gönnte er sich seine übliche großzügige Portion Milch.
»Falls es Sie interessiert«, sagte Bruch, der ihm gegenübersaß, »das hier ist nicht Schattenstadt, sondern Merlik, die Hauptstadt von Merlika. Wir schreiben das Jahr 7301. Sie wurden hierhergebracht, weil wir Ihre Hilfe und Mitarbeit brauchen. Sobald Sie mit der Situation vertraut sind, werden Sie in das Kapitol der Zwischner zurückversetzt, und alles wird wie zuvor seinen Lauf nehmen. Wir hoffen natürlich sehr, daß Sie verstehen werden, wie absolut wichtig es ist, daß die Zwischner die Schatten besiegen.«
Er hob die Hand, als Cargill ihn unterbrechen wollte. »Warten Sie. Lassen Sie mich Ihnen alles auf meine Weise erklären. Was die Schatten im zweiundzwanzigsten oder dreiundzwanzigsten Jahrhundert begannen, hatte größere Auswirkungen, als sie ahnten. Eine Zivilisation, die es normalerweise nicht gegeben hätte, kam als Folge der Schatteneinmischung zu einer partiellen Existenz – aber sie wurde nie völlig wirklich. Schauen Sie sich die Stadt da unten an.« Er deutete auf das, was verschwommen durch die Wolken zu sehen war. »Sie ist nicht wirklich dort. Begäben Sie sich zu ihr hinunter, würden Sie sich plötzlich im wahrsten Sinne des Wortes am Rand der Welt befinden. Und da Sie wirklicher sind als ich, würde Ihnen das vermutlich beträchtlich zu schaffen machen. Ich akzeptiere meine provisorische Existenz, aber ich bin entschlossen, sie echt zu machen. Sie wundern sich, wie es so etwas geben kann? Ich kann leider nicht auf alle Gesetze, die für die Zeit maßgebend sind, eingehen. Sie sind zu komplex, und um sie zu verstehen, bedarf es erst einer langwierigen Konditionierung ...«
Cargill widersprach ihm innerlich. Welchen Wert es auch immer gehabt haben mochte, so hatte seine Erfahrung mit dem See und der Statue ihm
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