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Der Zementgarten

Der Zementgarten

Titel: Der Zementgarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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und scheppernd männliche Stimmen tönten. Die Böschung des Steingartens fiel steil von ihrem Liegeplatz ab. Eine kleine Bewegung nach links, und sie wäre mir vor die Füße gerollt. Die Pflanzen und Unkräuter waren verdorrt, und ihr Bikini bildete grell und leuchtend den einzigen grünen Fleck.
    »Hör mal«, sagte ich zu ihr über die Radiostimmen hinweg. Sie drehte den Kopf nicht zu mir um, aber ich wußte, daß sie mich gehört hatte. »Wann hat Mammi zu dir gesagt, ich soll nicht diesen Lärm machen?« Als Julie sich nicht rührte und nicht sprach, kletterte ich um den Steingarten, um ihr Gesicht zu sehen. Ihre Augen waren geöffnet. »Ich meine, du warst doch die ganze Zeit hier draußen.« Aber Julie sagte, »Tu mir doch einen Gefallen und reib mir den Rücken ein.« Als ich hinaufstieg, löste sich unter meinem Fuß ein großer Fels und plumpste auf den Boden.
    »Langsam«, sagte Julie. Ich kniete mich zwischen ihre Beine und quetschte aus der Tube eine blasse, sahnige Flüssigkeit auf meine Handfläche. »Oben an den Schultern und am Hals«, sagte Julie, »da ist es am nötigsten.« Dabei ließ sie den Kopf sinken und hob die Haare aus dem Nacken. Obwohl wir nur einen guten Meter über dem Boden waren, schien hier eine leichte, erfrischende Brise zu wehen. Wie ich ihr die Schultern einkremte, bemerkte ich, wie bleich und schmuddelig sich meine Hände vor ihrem Rücken ausnahmen. Ihr Schulterriemchen war gelöst und hing auf den Boden. Wenn ich etwas nach links rutschte, konnte ich ihre Brüste gerade noch erkennen, dunkel im tiefen Schatten ihres Körpers. Als ich fertig war, rief sie über die Schulter, »Und jetzt die Beine.« Diesmal rieb ich die Krem ein so schnell ich konnte, die Augen halb geschlossen. Mir war heiß und schlecht. Julies Kopf ruhte wieder auf dem Unterarm und ihr Atem ging langsam und regelmäßig wie bei einer Schlafenden. Aus dem Radio gab eine schrille Stimme die Rennergebnisse mit bösartiger Eintönigkeit bekannt. Sobald ihre Beine ausreichend eingerieben waren, sprang ich von dem Steingarten herunter.
    »Danke«, rief mir Julie schläfrig zu. Ich ging schnell ins Haus und nach oben ins Bad. Später am Abend warf ich den Vorschlaghammer in den Keller hinunter.
    Jeden dritten Morgen kam die Reihe an mich, Tom zur Schule zu begleiten. Es war immer schwierig, ihn aus dem Haus zu lotsen. Manchmal schrie er und schlug um sich und mußte hinausgetragen werden. Eines Morgens, kurz vor dem Ende des Schulhalbjahrs, erzählte er mir im Gehen ruhig, er hätte einen »Feind« in der Schule. Das Wort klang aus seinem Mund schauerlich, und ich fragte, was er damit meinte. Er erklärte, ein größerer Junge habe es auf ihn abgesehen.
    »Der schlägt mir mal den Schädel ein«, sagte er in einem fast erstaunten Ton. Ich war nicht überrascht. Tom war grade der Typ dafür. Er war klein für seine sechs Jahre, und schwächlich. Er war blaß, hatte leicht abstehende Ohren, ein blödes Grinsen und sein schwarzes Haar legte sich zu dicken, einseitigen Fransen. Schlimmer noch, er war klug in seiner beharrlichen und streitsüchtigen Art - das vollkommene Schulhofopfer.
    »Sag mir, wer’s ist«, sagte ich und reckte den eingefallenen Rücken, »dem setz ich den Kopf schon zurecht.« Wir blieben vor der Schule stehen und lugten durch den schwarzen Eisenzaun.
    »Der da«, sagte er schließlich und deutete in die Nähe eines kleinen Holzschuppens. Es war ein schmächtiges Bürschchen, ein paar Jahre älter als Tom, rothaarig und mit Sommersprossen. Von der gemeinsten Sorte, dachte ich mir. Ich ging sehr rasch über den Schulhof, packte ihn am Jackenaufschlag mit der rechten Hand, griff ihn mit der anderen bei der Gurgel, schlug ihn hart gegen den Schuppen und ließ ihn dort zappeln. Sein Gesicht zuckte und schien zu platzen. Ich wollte laut lachen, so wild war mein Hochgefühl.
    »Rühr du meinen Bruder an«, zischte ich, »und ich reiß dir die Beine ab.« Dann ließ ich ihn gehen.
    An diesem Nachmittag brachte Sue Tom von der Schule heim. Sein Hemd hing ihm in Fetzen vom Rücken und es fehlte ihm ein Schuh. Sein Gesicht war auf einer Seite geschwollen und rot, und ein Mundwinkel war eingerissen. Seine Knie waren beide aufgeschürft, und eingetrocknetes Blut zog sich in Streifen über seine Schienbeine. Seine linke Hand war geschwollen und empfindlich, als wäre jemand daraufgetreten. Sobald er im Haus war, begann Tom ein seltsam tierisches Geheul und lief auf die Treppe zu. »So darf ihn Mammi nicht

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