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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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handelte es sich um einen Irrtum, und er mußte Abhilfe schaffen. Hätte er den Karabiner bei sich gehabt, hätte er ihn mit dem Bajonett traktiert, wie er es mit dem Foto von Onkel Pitrino gemacht hatte. Er mußte scharf überlegen. Dabei ging er weiter und blieb dann vor dem gekreuzigten Herrn Jesus stehen. Er wußte, und Padre Burruano hatte es kurz vorher ja wiederholt, daß die Schuld für all das Blut, das ihm aus dem mit einer Lanze verletzten Brustkorb floß, für die Dornenkrone auf seinem Haupte, für das schmerzverzogene Gesicht, das man an ihm sah, nur seine, Michilinos, eigene Schuld war und daß jedesmal, wenn er nicht gehorchte, jedesmal, wenn er eine Lüge erzählte, jedesmal, wenn er eine Süßspeise klaute oder Marmelade oder einen Apfel, die Nägel, die den lieben Herrn Jesus angenagelt am Kreuz hielten, noch tiefer in dieses gequälte Fleisch eindrangen. Jede kleinste Sünde, die er beging, war wie ein Hammerschlag auf diese Nägel. Er kniete nieder, er fing an zu beten, und während er betete, flossen große Tränen über sein Gesicht. Dann dachte er, es müßte wohl eine halbe Stunde vergangen sein, aber von Mamà war noch nichts zu sehen. Da stand er auf und verweilte wieder vor der Statue des heiligen Caloriu. Er blickte sich um, in der Kirche war keine Christenseele. Er kletterte auf die Balustrade vor der Heiligenstatue, er stellte sich aufrecht hin und spuckte dem Heiligen ins Gesicht. Er stieg wieder herunter und kniete wieder vor dem lieben Herrn Jesus nieder. In dieser Haltung fand ihn Mamà. Sie umarmte ihn, sie verließen die Kirche. Mamà war ganz rot im Gesicht, es war, als wäre eine stärkere Hitze über sie gekommen als die, die hier draußen herrschte. Michilino merkte, daß zwei Knöpfe an Mamàs Bluse fehlten. Das sagte er ihr auch. Da wurde Mamà noch roter, ihr Gesicht wurde zu einer richtigen Feuerlohe.
      »Als ich sie angezogen habe, hab ich gar nicht bemerkt, daß zwei Knöpfe fehlen.«
      Doch als sie das Haus verlassen hatten, war es Michilino vorgekommen, als wäre die Bluse ganz in Ordnung.
    »Was hat dir der Pfarrer über mich erzählt?«
    »Über dich?« fragte Mamà, die in Gedanken versunken schien. »Er hat gesagt, daß du ein tüchtiger Junge bist, der beste, intelligent und feinfühlig.«
      Als sie zu Hause angekommen waren, zog Mamà rasch eine andere Bluse an.

    Als er das zweite Mal zu den Dingen über Gott ging, zeigte Padre Burruano ein kleines Buch.
      »Das hier ist der Katechismus. Darin stehen die Gebote. Ich brauche es nicht jedem von euch zu geben, ihr seid ja alle so stumpfsinnig wie Schafe und könnt nicht lesen. Ich schenke es daher nur Michilino.«
      Und er fing an zu erklären, wer Gott war und daß jeder nur diesen Gott lieben und zu ihm beten dürfe, weil es keine anderen Götter gebe, auch wenn man sagte, daß es sie doch gebe. Am Ende schickte der Pfarrer alle weg, außer Michilino. Wie beim ersten Mal zündete Padre Burruano, auf dem Stuhl neben ihm sitzend, eine Serraglio an. Irgendwann fragte er: »Berührst du dich?«
      Michilino wurde verlegen. Was meinte Padre Burruano damit? Er dachte einen Augenblick nach und antwortete dann: »Ich berühre mich, wenn mir was weh tut. Wenn ich falle und das Knie blutet, dann berühre ich mich natürlich.«
      »Nein«, sagte der Pfarrer. »Ich wollte wissen, ob du dich da berührst.«
    Und mit dem Finger zeigte er zwischen die Beine.
      »Hier?« fragte Michilino und schaute auf die Stelle, die Mamà immer das »Vögelchen« nannte.
    »Genau.«
      »Warum soll ich mich da berühren, wenn mir da nichts weh tut?«
    »Nie und niemals?«
    »Nie und niemals.«
    Padre Burruano schien nicht überzeugt, streckte eine Hand aus und legte sie auf das Vögelchen. Dann verzog er das Gesicht. »Was hast du in der Tasche?«
    »Nichts.«
    »Steh auf und stell dich vor mich hin.«
      Michilino gehorchte, der Pfarrer betastete mit der Hand das Vögelchen und sah überrascht aus.
    »Setz dich.«
      In diesem Augenblick kam Mamà herein, der Pfarrer stand auf.
    »Teuerste …«, begann er.
      »Ich habe gar keine Zeit, entschuldigen Sie bitte«, sagte Mamà. »Michilino, wir gehen. Buongiorno.«
      »Meine Hochachtung«, sagte Padre Burruano verwirrt und verdüstert.

    Balduzzo kam am dritten September wieder in die Stadt zurück. Er hatte eine andere Uniform an, jetzt trug er eine, die Kolonialuniform hieß, und auf dem Kopf trug er einen Helm, daß er aussah wie ein Forscher. Weil er in

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