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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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des Tornisters lief über seine Brust, und Mamà begleitete ihn. Sie hatte ihm, als sie ihn kämmte, gesagt, daß der Lehrer Attilio Panseca heiße und ein guter Mensch sei. Die Klassenräume der Erstkläßler befanden sich im Erdgeschoß, Michilino war in der A, dem Klassenraum, der unmittelbar beim Portal war. Signor Panseca, der Lehrer, stand, im schwarzen Hemd und mit dem Faschistenabzeichen im Knopfloch, in der Tür zur Klasse und hielt ein Blatt Papier in der Hand. Er machte den römischen Gruß, und Mamà und Michilino grüßten auf die gleiche Weise.
    »Wie heißt du?« fragte der Lehrer.
      Aber das mußte er wohl schon gewußt haben, denn er lächelte Mamà zu.
    »Sterlini Michilino.«
    Der Lehrer blickte auf das Blatt.
    »Erste Bank am Fenster. Begleiten Sie ihn, Signora.«
      Die Bank hatte zwei Plätze, der Nachbar war noch nicht da. Mamà ließ Michilino direkt auf dem Platz neben dem Fenster niedersitzen, von wo aus man ein vor Anker liegendes Dampfflügelboot sehen konnte und die kräftigen Schultern, die die Holzplanken hinaufkletterten und aufgehalste Kisten trugen, die sie in den Laderaum brachten. Mamà küßte ihn auf die Stirn.
      »Wenn der Unterricht zu Ende ist, dann beweg dich ja nicht von hier weg, ich komme dich abholen. Und laß dich mit niemandem ein.«
    Der Banknachbar kam herein, als Mamà hinausging. Auch er wurde von seiner Mutter begleitet. Er hieß Scuderi Bittino, war spindeldürr und trug eine Brille. Michilino sah sich genau um. Es gab zehn Bänke, eine Tafel, ein Podest mit dem Katheder. An der Wand hinter dem Katheder befand sich ein Kruzifix zwischen zwei Fotos: das linke zeigte Seine Majestät Vittorio Emanuele, das rechte Seine Exzellenz Benito Mussolini. Innerhalb einer Viertelstunde füllte sich die Klasse, aber keiner machte Lärm, keiner redete, alle saßen still und blickten nach vorn. Irgendwann ertönte eine Klingel. Panseca, der Herr Lehrer, kam herein, schloß die Tür, setzte sich aufs Katheder und schlug das Klassenbuch auf.
      »Jetzt rufe ich euch auf. Wer aufgerufen wird, steht auf, macht den römischen Gruß, antwortet ›Hier‹ und setzt sich wieder hin. Fangen wir an. Abbate Filippo …«
      Abbate Filippo hatte kaum Zeit aufzustehen, als die Tür aufging und ein schlecht gekleideter Vierzigjähriger mit gelbem Gesicht erschien, der einen kleinen, völlig verängstigt wirkenden blonden Jungen an der Hand hielt.
      »Die Schulglocke hat bereits geläutet«, sagte der Lehrer kalt. »Sie sind verspätet, ich bräuchte Ihren Sohn auch nicht mehr in die Klasse zu lassen. Aber weil es der erste Schultag ist, kommen Sie. Wie heißt du?«
    »Maraventano Alfio«, antwortete der Kleine beinahe zitternd.
    »Letzte Bank. Du sitzt alleine.«
      Alfio Maraventano ging mit gesenktem Kopf durch die beiden Bankreihen.
    Sein Vater blieb an der Tür stehen.
    »Herr Lehrer, darf ich mir einen Rat erlauben?« sagte er.
    Panseca, der Lehrer, blickte ihn finster an.
      »Von Ihnen nehme ich keinen Rat entgegen. Aber sprechen Sie nur.«
      Maraventano senior zeigte auf die Wand hinter dem Katheder. »Das Kreuz muß an eine andere Stelle.«
    »Und wieso?«
      »Weil es jetzt so aussieht, als würde Jesus zwischen den beiden Räubern hängen.«
      Der Lehrer lief rot an, erhob sich vom Katheder, bebte am ganzen Leibe, daß man dachte, er bekäme jetzt einen Schlaganfall, und deutete mit dem Arm auf die Tür.
    »Raus hier, du Kommunistenschwein! Raus!«
      Signor Maraventano ging ganz ruhig hinaus. Der Lehrer setzte sich, stand wieder auf, stieg vom Katheder hinunter und ging auf den Flur.
    »Noch heute zeige ich Sie an!« schrie er.
      Er kam wieder zurück, setzte sich, noch immer bebte er ein wenig, und wischte sich die Stirn mit einem Taschentuch ab.
      »Und hör du ja auf zu weinen! Sonst werf ich dich mit Fußtritten raus, kapiert?«
      Alle drehten sich zur letzten Bank um, wo Alfio Maraventano saß, alleine und untröstlich; er hatte angefangen zu weinen und dabei die Augen mit dem Arm verdeckt.
      Nach dem Aufrufen fragte der Lehrer: »Wißt ihr, warum die italienischen Knaben Baliila heißen?«
      Und er erzählte eine Geschichte, wie und wann in Genua, zu der Zeit, als die Östrischen die Stadt regierten und die Genueser unter der Schinderherrschaft dieser Stinksäcke zu leiden hatten, ein kleiner Junge mit Namen Giambattista Perasso, kurz Baliila, rebellierte und einen Stein auf die Östrischen warf. Das war der Beginn, woraufhin die

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