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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Augenblick, als er mit seiner ganzen Kraft versuchte, das Bajonett herauszuziehen, sah er aus seinen Augenwinkeln eine Bewegung. Es war eine weiße Taube, die ganz sicher hinter der Fotografie gehockt hatte, und als sie versuchte davonzufliegen, hatte ihr ein Stück Glas einen Flügel abgetrennt. Jetzt wirbelte sie um sich selbst, spannte den heilen Flügel, hätte es aber nie geschafft zu fliegen. Als sie das merkte, schleppte sie sich zu einem alten Kleiderkoffer und barg sich an ihm. Endlich gelang es Michilino, das Bajonett aus der Fotografie zu ziehen, er sah die Taube an, näherte sich ihr langsam, hielt sie leicht über der Spitze der Waffe, dann senkte er die Spitze herab und ganz langsam ließ er das gesamte Bajonett sachte, sachte in den Körper des Bissiniers im weißen Mantel eindringen.

    Am nächsten Tag, gegen vier Uhr nach Mittag, wusch ihn Mamà, kämmte ihn und zog ihm die guten Sachen an.
    »Wo gehen wir hin, Mamà?«
    »In die Kirche.«
    »Darf ich meinen Karabiner mitnehmen?«
      »Man nimmt keine Waffen mit in die Kirche, auch keine Attrappen.«
      Attrappen? Wo er doch einen Bissinier im weißen Mantel getötet hatte!
    »Was sollen wir denn in der Kirche?«
    »Du mußt anfangen, Dinge über Gott zu lernen, du mußt dich
    auf die erste heilige Kommunion vorbereiten.«
    »Wann ist die?«
    »Das sieht man schon noch.«
      »Und was machst du, wenn man mir Dinge über Gott beibringt?«
      »Ich geh spazieren. Nach einer Stunde komme ich dann und hole dich ab. Du mußt einmal in der Woche dahin.«
    »Bis wann?«
      »Das wird uns Padre Burruano sagen; wenn du soweit bist, die heilige Kommunion zu empfangen.«
      Padre Burruano war ein Mann um die Vierzig, elegant, die Kutte war fleckenlos sauber und hatte keine Falten, seine Schuhe waren auf Hochglanz geputzt, Kragen und Manschetten von einem Weiß, daß man fast geblendet worden wäre, Uhr und Brillengestell aus Gold. Immer, wenn er etwas gesagt hatte, fragte er die Kleinen, die da vor ihm saßen: »Wer hat verstanden, was ich gesagt habe?«
    Obwohl Michilino noch gar nicht in der Schule war, konnte er
    lesen und schreiben, er war den anderen zehn Jungs gegenüber im Vorteil, Kinder einfacher Leute, ungebildet und ungeschlacht, Kinder von Fischern, Karrenkutschern, Landvolk, Lastenträgern im Hafen. Immer war es Michilino, der aufzeigte, um zu sagen, daß er verstanden hatte.
      Eines Tages, nach dem Ende der Dinge über Gott, sagte Padre Burruano zu Michilino: »Du bleibst hier.«
    Der Junge und der Pfarrer befanden sich alleine in der Sakristei. Padre Burruano schlug die Beine übereinander und zündete sich eine Serraglio an, das waren die gleichen Zigaretten, die auch Papà rauchte, und die waren teuer. Er sagte nichts, er redete nichts. Nach einer Weile erschien Mamà mit besorgtem Gesichtsausdruck, weil sie vor der Kirche gewartet und ihn nicht rauskommen gesehen hatte. Doch sobald sie Michilino dort ordentlich sitzen sah, beruhigte sie sich. Padre Burrunao stand auf.
      »Liebe Signora Sterlini! Es ist schon eine ganze Weile, daß man sich nicht mehr sieht!«
      Mamà wurde ganz rot, während sie ihm die Hand hinhielt. Der Pfarrer ergriff sie, drückte sie, ließ sie aber nicht los, sondern nahm sie zwischen seine Hände.
    »Ich möchte mit Ihnen über Ihren Sohn sprechen.«
    »Wieso? War er unartig?«
      »Nein, nein, im Gegenteil«, sagte der Pfarrer und streichelte Mamàs Handrücken.
    »Michilino, geh in die Kirche und warte auf mich.«
    Während Padre Burruano die Tür der Sakristei zuschloß, streifte Michilino durch alle Winkel der Kirche. Vor der Statue des heiligen Caloriu verweilte er lange. Alljährlich zog die Prozession des heiligen Caloriu unter dem großen Fenster seines Hauses vorbei, in einer Menschenmenge, einem Höllenlärm von Stimmen, Gebeten, Tamburinschlägen, Geklingel, Märschen des Blasorchesters der Gemeinde, während die Leute von den Balkonen kiloweise Brotscheiben auf die hinunterwarfen, die hinter dem Heiligen herzogen und sie im Flug auffingen. Wie kam es aber nun, daß Michilino vorher nie auf das Gesicht des Heiligen aufmerksam geworden war? Wieso hatte er nie bemerkt, daß der heilige Caloriu eine schwarze Hautfarbe hatte? Jetzt, im Lichterschein der zehn Kerzen vor der Statue, stellte er sich der Wahrheit: Dieser Heilige war ein Neger und fast sicher ein Bissinier. Aber wenn er ein wilder, ein verwilderter Bissinier war, wieso hatte man ihn dann zum Heiligen gemacht? Ganz sicher

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