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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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waren, daß sie aussahen wie Segelmasten. Keiner wagte es, in die Hand zu klatschen, der Lehrer schickte ihn wieder auf seinen Platz zurück, ohne auch nur Heh! oder Beh! zu sagen, und rief einen anderen nach vorne.

    Abends kam Papà nach Hause, als der Tisch schon gedeckt war. Er wirkte fröhlich. Als sie bei Tisch saßen und Mamà mit der Minestra aus der Küche kam, sagte Papà zu ihr: »Heute bin ich zum Politischen Sekretär ernannt worden.«
      Mamà fuhr zusammen, lief zu Papà und umarmte und küßte ihn.
    »Heilige Jungfrau! Wie froh mich das macht!«
    »Was bedeutet das, Politischer Sekretär?« fragte Michilino.
      »Das bedeutet, daß Papà der Chef, der Kommandeur aller Faschisten im Ort geworden ist, alle müssen tun, was er sagt.«
    »Gib mir einen Kuß«, sagte Papà zu Michilino.
      Der Kleine stand auf, gehorchte und kehrte wieder zu seiner Minestra zurück. Er fühlte sich glücklich, daß Papà so bedeutend geworden war.
      »Und es gibt noch eine weitere schöne Neuigkeit«, sagte Papà zu seiner Frau. »Ich bin zum Schulrektor gegangen. Er hat mir gesagt, daß unser Junge außerordentlich tüchtig ist, schon viel zu weit, um im ersten Schuljahr zu bleiben. Aber es würde noch nicht ausreichen, ihn ins zweite Schuljahr zu geben. Die Lösung, die er mir vorschlägt, kommt mir angemessen vor, nämlich Michilino aus der Schule zu nehmen und ihm Privatunterricht geben zu lassen, und dann kann er ihn für die erste Gymnasialklasse prüfen.«
    »Und wo soll er den Privatunterricht bekommen?«
      »Zu den Geistlichen schicke ich ihn nicht«, sagte Papà entschieden.
    »Und wo dann?«
      »Der Rektor selber hat mir den Rat gegeben, mit Olimpio Gorgerino zu sprechen.«
      »Warte mal, ich meine, ich hätte schon von ihm gehört. Ist er nicht Mathematiklehrer am Realgymnasium?«
      »Schon, aber der Rektor sagte, daß Gorgerino ein Quell allen Wissens ist. Aber er mag keinen Privatunterricht geben.«
    »Und jetzt?«
    »Siehst du, Ernestí, Gorgerino ist zum Chef des Nationalen
    Balilla-Kinderwerks hier im Ort ernannt worden, deshalb kann er mir, weil ich höher stehe als er, nicht nein sagen. Eins ist sicher, Michilino: Du gehst morgen früh nicht zur Schule. Schlaf, solange du willst.«
      Und das war gut so, denn erst gegen Morgen konnte Michilino einschlafen. Während der Nacht waren die Kämpfe zwischen Papà und Mamà nämlich lang und heftig und flammten immer wieder auf.

    Vier Tage später, um fünf Uhr nach Mittag, begleitete ihn Mamà zu Professore Olimpio Gorgerino, der in der Via Roma wohnte, das heißt in derselben Straße wie Michilino, zu Fuß mehr oder weniger zehn Minuten.
      »Sieh dir die Umgebung genau an«, sagte Mamà, »denn von morgen an gehst du alleine hin und wieder zurück. Schließlich bist du jetzt groß. Aber ich leg's dir ans Herz!«
      »Keine Angst, Mamà. Ich nehm meinen Karabiner mit. Aber wenn ich jeden Tag zu Professore Gorgerino muß, wie mach ich's dann freitags mit den Dingen über Gott?«
      »Freitags gehst du in die Kirche und läßt den Unterricht bei Gorgerino aus, Papà hat das mit dem Professore schon abgesprochen, und er ist einverstanden.«
      An der Tür des Professore war ein ovales Schildchen aus Kupfer angebracht, auf dem stand »Prof. Olimpio Gorgerino«, und darunter waren mit Heftzwecken zwei bedruckte Blätter befestigt. Auf dem einen stand »Buch und Gewehr ist Faschistenehr« und auf dem anderen »Die Knaben Italiens sind alle Balillas«.
      Der Mann, der die Tür öffnete, trug einen Pyjama und Pantoffeln. Auf dem Kopf hatte er ein Haarnetz. Kaum hatte er Mamà erblickt, machte er einen Satz zurück und war verwirrt.
    »Entschuldigen Sie, Signora. Ich dachte, Giugiù würde den
    Jungen begleiten. Bitte nehmen Sie doch hier Platz, ich bin gleich wieder da.«
      Er führte sie in sein Arbeitszimmer, einen großen Raum mit einem breiten Sofa, zwei Sesseln, vier Stühlen, einem mit Büchern und Papieren übersäten Schreibtisch, die Wände bestanden aus Bücherregalen, und die Bücher lagen kreuz und quer durcheinander. Hinter dem Schreibtisch hing eine Fotografie von Mussolini, der den römischen Gruß machte. Es gab weder ein Kruzifix noch ein Bildnis des Königs. Michilino sah, daß viel Staub auf dem Schreibtisch lag und auch auf dem Fußboden. Mamà bemerkte seinen Blick und sagte: »Professore Gorgerino ist nicht verheiratet, er hat niemanden, der sich um ihn kümmert, daher ist das Haus nicht so sauber und daher

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