Der zerbrochene Himmel
unvermittelt mit weit aufgerissenen Augen hoch. »Was ist los? Was ist passiert?«
»Mariè, du verlierst Blut!« sagte Michilino mit einer Stimme, die nicht herauswollte, und als sie herauskam, zitterte sie.
Marietta schob die Bettücher zur Seite und schaute zwischen ihre Beine.
»Nichts, Michilì, das ist nichts. Das sind Frauensachen.«
Sie stand auf und schloß sich ins Badezimmer ein. Michilino
trank in der Küche ein Glas Wasser, aber das Herz pochte weiterhin heftig.
Nach einer Weile kam Marietta perfekt gekleidet zurück.
»Hast du Angst gehabt?«
»Sicher hab' ich das!«
»Da brauchst du keine Angst zu haben, Michilì. Ich hab' nur den Marchese bekommen.«
Wie denn, was denn, war da ein Marchese oder ein Baron mit Mariettas Blut ins Haus gekommen? Die Cousine begriff die Verwirrung des Jungen.
»Wir nennen das so: den Marchese. Eigentlich nennt man das Menstruation. Das haben alle Frauen. Das ist etwas ganz Natürliches. Wenn eine Frau sie nicht hat, bedeutet das, sie ist guter Hoffnung, und wenn sie sie im Leben überhaupt nicht mehr hat, bedeutet das, sie ist zu alt, um noch Kinder zu bekommen.«
»Das habe ich nicht gewußt. Und wann geht das vorbei?«
»In ein paar Tagen.«
»Und wie machst du's, das Blut aufzuhalten?«
»Dieses Blut kann man nicht aufhalten. Es hört von selber auf.«
»Und wie machst du's, daß du dich nicht beschmutzt?«
»Ich tu da eine Binde hin.«
»Auf den Pirripipacchiu?«
Manetta fing an zu lachen.
»Ja, auf den Pirripipacchiu. Wer hat dir denn dieses Wort beigebracht?«
»Ein Karrenkutscher.«
»Das ist wirklich ein Wort der Karrenkutscher. Das darfst du nicht sagen.«
Marietta ging einkaufen.
»Morgens früh kauft man Fisch frisch.«
Michilino ging in die Kammer. Marietta hatte die blutverschmutzten Bettücher weggenommen und sie in eine Ecke geworfen. Michilino nahm sie in die Hand und steckte seine Nase hinein. Dieses Blut roch gut, eigentlich nach Oregano, Nelken und fauligem Obst. Er spürte, während er weiter daran roch, eine Hitzewallung zwischen den Beinen.
Am Mittag des dreißigsten Dezembers verkündete Papà, daß er keine Lust hatte, die Silvesternacht in Gesellschaft der Verwandten zu verbringen. Marietta könne Michilino hinbringen, wohin sie wollte, er aber würde bis Mitternacht zu Hause bleiben und danach in den Club gehen und Karten spielen. Er würde morgens zurückkommen. Michilino sagte, ohne Papà würde er nirgendwo hingehen, was bedeutete, daß auch er zu Hause bleiben würde und sich nachher, wenn Papà in den Club ging, schlafen legte.
»Ja, wie denn, willst du dann die ganze Nacht alleine schlafen?«
Auf diese Frage von Papà antwortete Michilino nicht. Er hatte gar nicht daran gedacht. Und die bloße Vorstellung trieb ihm den kalten Schweiß über den Körper.
»Ich bleibe bei Michilino«, sagte Marietta.
Papà schien ein bißchen dagegen zu sein.
»Und wer sagt deinem Vater und deiner Mutter, daß du hierbleibst, während sie dich vielleicht bei sich haben wollen?«
»Ich sag's ihnen, heute noch, gleich nach dem Mittagessen.«
»Danke«, sagte Papà und sah Marietta in die Augen.
Er legte eine Hand auf die Hand der Nichte und hielt sie da eine Weile. Dann seufzte er, nahm die Hand wieder weg und hielt sie vor seine Augen. Wieder seufzte er tief, legte die Hand wieder auf den Tisch und sagte: »Danke, Mariè. Du verstehst mich.«
Diesmal war es Mariettas Hand, die sich auf Papàs Hand legte und lange dort verweilte.
Am Silvesterabend mußte Marietta nicht kochen, weil Papà das Essen im Restaurant bestellt hatte. Punkt neun Uhr klopfte es, und es präsentierten sich ein Kellner und ein Hilfsjunge mit der ganzen Herrlichkeit. Zwölf Arancini, sechs gebratene Seezungen, die so groß waren, daß sie über den Teller hinaushingen, Kartoffeln im Rohr, Salat, Cannoli und zwei Flaschen Spumante, die sie auf Eis stellten, um sie frisch zu halten. Beim Essen tranken Papà und Marietta eine halbe Flasche Wein. Als die Rathausuhr Mitternacht schlug, entkorkten sie die beiden Flaschen Spumante und füllten die Gläser. Sie küßten sich alle drei und tranken, wobei sie die Gläser erhoben und leicht miteinander anstießen.
»Auf die Gesundheit!«
Als Michilinos Glas halbleer war, hob er es wieder hoch: »Auf die Gesundheit!« wiederholte er.
Auch Papà und Marietta hoben ihre Gläser.
»Auf die Gesundheit von wem?« fragte Papà lachend.
»Von Mamà«, sagte
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