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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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hatte. Marietta stieß ein Lachen aus, das dem Jungen bösartig vorkam.
      »Bei deinen Werken der Barmherzigkeit gibt es ja vielleicht auch das, das sagt: Wichs' ihn dem, der einen Ständer hat?«
      »Nein«, sagte Michilino. »Und außerdem versteh' ich auch gar nicht, was das bedeutet.«
      Marietta nahm den Mast in die Hand, schloß sie und fing an, die Haut des Vögelchens vor und zurück und vor und zurück zu schieben. Haargenau so wie Professore Gorgerino, als sie Spartanisches machten!
      Sieh nur, wie eigentümlich! Irgendwann sagte Marietta, die wie eine Mantis atmete: »Mein Arm ist müde geworden. Schluß jetzt.«
      Aus Michilinos Augen kullerten Tränen, die so groß wie Erbsen waren. »Ich sterbe vor Schmerzen, Mariè! Ich flehe dich an, hilf mir doch!«
    Marietta atmete tief ein.
    »Der Herr ist mein Zeuge«, sagte sie.
    »Für was?«
    »Daß ich versucht habe, diese Sache nicht zu tun.«
    »Was für eine Sache?«
      »Schluß mit der Fragerei. Komm, leg dich auf mich, wie neulich.«
      Michilino stieg behende zuerst aufs Bett und dann auf den kochenden Körper der Cousine. Marietta streckte die Hand aus, nahm vorsichtig den Mast und steckte ihn ganz langsam hinein. Dabei machte sie: »Ah! … Ah!« bei jedem Zentimeter, der in sie eindrang. Michilino spürte, wie das Vögelchen in Marietta hineinrutschte, die ganz feucht war, und dann war es, als würde der, wie hieß er noch gleich, der Pirripipacchiu ihn ganz von alleine aufnehmen, wie ein Mund, der ihn verschlang.
      »Heilige Muttergottes«, sagte Marietta halb laut, als das Vögelchen ganz eingedrungen war.
    Und sie blieb regungslos liegen wie eine Tote.
    »Und was mache ich jetzt?« fragte Michilino.
      »Heh?«, sagte Marietta, als wenn sie von einem fernen Ort zurückkehren würde, zu dem ihre Gedanken sie getragen hatten. Sie lächelte wie eine Katze, die aufgehört hatte zu fressen.
    »Was tue ich jetzt?«
      »Hör mir gut zu. Jetzt bewegst du dich zurück, aber achte darauf, daß du den Kopf des Vögelchens nicht herausläßt, und danach steckst du ihn mir wieder rein, und zwar mit aller Kraft, die du hast. Wiederhole dieses Rausziehen und Reinstecken sechs oder sieben Mal, dann geht es ganz sicher vorüber.«
    »Eins.«
    »Ah!«
    »Zwei.«
    »Ah. Ah!«
    »Drei.«
    »Ah. Ah. Ah!«
    »Vier.«
    »Ah. Ah. Ah. Ah!«
    »Fünf.«
    »Ah. Ah. Ah. Ah. Ah.«
    »Sechs.«
    »Ah. Ah. Ah. Ah. Ah. Ah.«
    »Sieben.«
    »Aaaaaaaahhhhhhh!«
      Marietta schien verrückt geworden zu sein, sie zog mit beiden Händen an Michilinos Haaren, begann ihren Kopf aufs Kissen zu schlagen, nach rechts, nach links. Ihr Körper lag nur auf dem Hals und auf den Fersen auf. Danach entspannte sie sich.
    »Acht«, sagte Michilino.
    »Ah!«
    »Neun.«
    »Ah. Ah!«
    »Zehn.«
    »Ah. Ah. Ah!«
    »Elf, zwölf, dreizehn, vierzehn, fünfzehn, sechzehn, siebzehn,
    achtzehn, neunzehn, zwanzig, einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig, vierundzwanzig, fünfundzwanzig, sechsundzwanzig, siebenundzwanzig …«
    »Ah Gott! Ah Gott! Ah Goooooott!«
    »Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren.«
      »Warum hast du aufgehört? Ich spreche ihn nicht mehr aus, hör nicht auf, mach weiter, mach weiter …«
    »… achtundzwanzig, neunundzwanzig …«
    »… und hundert.«
    »Grrr … Asch … tot … noch mal … au, tot!«
    »Hundertzwanzig, hunderteinundzwanzig …«
    »So, ja, so, ja, so, ja …«
    »Hundertzweiundsiebzig, hundertdreiundsiebzig.«
      »Ah, mein süßer Verlobter! Oh Blut meines Blutes! Ah, mein Herz! Weiter, weiter, weiter, weiter, amore mio …«
      Irgendwann lagen sie quer. Mariettas Haare, ihr Kopf rückwärts aus dem Bett, streiften über den Boden.
      Irgendwann fanden sie sich in umgekehrter Richtung, mit den Füßen am Kopfende und den Köpfen da, wo die Füße hingehörten.
      Irgendwann fiel Marietta zu Boden und riß auch Michilino mit sich, der immer noch auf ihr ritt.
      Irgendwann rutschten sie über den Boden und befanden sich im Eßzimmer.
    Irgendwann rutschten sie immer noch und landeten unter dem
    Tisch, der nicht abgeräumt worden war, und Marietta zog am Tischtuch und ließ Teller, Flaschen, Gläser und Besteck auf den Boden segeln.
      Irgendwann, als sie im Hausflur waren, sagte Marietta nichts mehr, sie wehklagte in gewisser Weise mit geschlossenem Mund, beständig, wie es manchmal Tauben machen.
      Irgendwann stieß Mariettas Kopf an die Badezimmertür, und der Stoß war so, als brächte er sie zum

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