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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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deren Zimmer, weil sie den Weihnachtstag noch miteinander verbringen wollten.
      Aber wie kam es nur, daß bei Tisch, als das große Weihnachtsessen stattfand, weder Nonno Filippo noch Nonna Agatina noch Papà selber auch nicht ein Sterbenswörtchen über Mamà verloren? Nichts, so als hätte sie nie gelebt.

    Marietta kam am Sankt Stephanstag zurück.
      Nach dem Mittagessen hatte Michilino nichts zu tun, er streifte durchs Haus. Signorina Pancucci, die Lehrerin, nahm den Unterricht erst am siebten Januar wieder auf.
    »Ich will ein Werk der Barmherzigkeit tun.«
      »Willst du Almosen geben?« fragte die Cousine, die keine von denen war, die in die Kirche rannten.
    »Kennst du die Werke der Barmherzigkeit nicht?«
    »Nein.«
      »Die Nackten kleiden, den Dürstenden zu trinken geben, die Kranken besuchen … Das sind Werke der Barmherzigkeit, aber es gibt auch noch andere.«
    »Und was willst du tun?«
      »Padre Burruano im Spital besuchen. Der Arme, vielleicht ist niemand ihn in diesen Tagen besuchen gegangen. Weißt du, wo er sich befindet?«
      »Nein. Aber heute morgen, als ich beim Einkaufen war, habe ich zwei Frauen gehört, die miteinander redeten. Eine sagte zur anderen, daß Padre Burruano aus dem Spital entlassen worden ist, aber nicht mehr in unsere Stadt zurückkäme.«
    »Wieso das?«
    »Weil seine Exzellenz Montichino, der Bischof von Montelusa, ihn nach Ribera versetzt hat.«
    »Wieso das?«
      »Meine Güte, Michilì, immer dieses Wieso-das, Wieso-das! Ich weiß nicht, wieso-das, Tatsache ist, daß wir Padre Burruano, dem Himmel sei Dank, in dieser Gegend nicht mehr sehen werden.«
      »Wieso … entschuldige bitte, Mariè, werd' nicht gleich verärgert, wieso hast du gesagt: Dem Himmel sei Dank? Was hat Padre Burruano dir denn getan?«
      »Mir? Mir hat er nichts getan. Ich mag eben nur keine Pfaffen. Aber es gibt Frauen, die mögen Pfaffen. Und dann passiert was.«
    »Sprichst du von Mamà?«
    »Von Mamà und von anderen Frauen.«
    »Und was ist mit denen passiert?«
      »Wenn du's wirklich wissen willst, Michilino, dann frag doch deinen Vater.«
      Ach ja, das stell sich einer vor, Papà! Papà war in diesen Tagen gar nicht wiederzuerkennen, ständig nervös, immer mit finsterer Miene, immer still. Er hatte nicht einmal Lust, die Nadeln mit der italienischen Flagge an die Orte zu heften, die die Schwarzhemden in Bissinien eroberten. Vielleicht bedrückte ihn ja Mamàs Abwesenheit nach dem Streit, den sie hatten, er, Mamà und Padre Burruano. Denn inzwischen war klar, daß es eine Auseinandersetzung gegeben haben mußte. Das einzige, was man hoffen konnte, war, daß sie möglichst bald Frieden schlossen, und Michilino gab das Versprechen, jeden Tag zu dem lieben Herrn Jesus zu beten, wenn er ihm die Gnade erwies, Mamà nach Hause zurückkehren zu lassen.
      Am Abend, als sie sich hingelegt hatten, fragte Michilino seine Cousine: »Willst du, daß ich mich auf dich lege, wie neulich?«
    »Nein, heute abend nicht.«
    Michilino umarmte sie von hinten, in der Schlafposition. Doch nach einer Weile fragte er wieder: »Sind wir weiterhin verlobt?« »Natürlich«, sagte Marietta und lachte.
    »Ja, dann …«
      »Hab' schon verstanden, was du willst«, sagte Marietta und holte aus dem Nachthemd eine Brust hervor.
    Michilino legte eine Hand darauf und schlief ein.
      Am nächsten Morgen wachte er auf, als es sieben war. Ein schwaches Licht schimmerte durch die Fensterläden. Er wußte, daß er aufgewacht war, weil im Bett etwas vor sich ging, das ihm Verdruß bereitete. Er löste sich vom Rücken der Cousine und sah die Bettücher an. Da waren dunkle Flecken. Er legte eine Hand darauf, es waren Blutflecken. Er sah genauer hin. Das Blut kam aus der Mitte zwischen Mariettas Schenkeln. Heilige Muttergottes! Sie mußte verletzt sein, und jetzt verblutete sie möglicherweise! Voller Angst schüttelte er sie an einer Schulter. Marietta reagierte nicht. Hektisch und schweißgebadet stieg Michilino über ihren Körper und rief Papà im Schlafzimmer. Papà war nicht zurückgekommen, das Bett war unberührt. Es kam vor, daß er im Club blieb und bis in die vorgerückten Morgenstunden Karten spielte. Und was sollte Michilino jetzt machen? Wen konnte er um Hilfe bitten? Er eilte wieder in die Kammer zurück, gerade rechtzeitig, um sehen zu können, daß Marietta sich bewegte und eine Hand unters Kissen schob. Sie lebte also!
    »Mariè!« rief er aus voller Lunge.
      Marietta fuhr

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