Der zerbrochene Himmel
kam, und dann schloß sie sie wieder.
»Bleib so liegen, rühr dich nicht«, sagte sie und umarmte ihn dabei fest.
Michilino spürte, wie Mariettas Bauch sich unter dem seinen bewegte.
»Aaaahhhh, aaaahhhhh«, wimmerte sie wieder.
»Marietta, was hast du?« fragte Michilino beängstigt.
Der Bauch bewegte sich stärker, die Schenkel, die ihn umschlossen, wurden zu Zangen.
»Jesusjesusjesusjesusje …«, sagte Marietta.
Und Michilino begriff: Die Cousine betete, um Jesus im vorhinein um Vergebung für die Lüge zu bitten, von der Nonno wollte, daß sie sie Papà erzählte.
Dann seufzte Marietta lange und anhaltend und schien schlagartig eingeschlafen zu sein.
Michilino bewegte sich nicht. Nach einer Weile hörte er, daß die Cousine zu ihm sagte: »Jetzt kannst du ins Bad gehen.«
Sieben
Den Heiligen Abend, beschloß Marietta, bei sich zu Hause zu verbringen. Michilino dagegen ging mit Papà zu Nonno Filippo und Nonna Agatina. Nonno Filippo hatte, wie er es alljährlich zu tun pflegte, die Krippe in einem ganzen Zimmer aufgebaut, und das war ein Schauspiel sondergleichen: Da gab es fließende Bäche, Wasserfälle, Springbrunnen, Berge, Häuschen, Eselchen, Zicklein, Schäfchen und eine unendliche Zahl von Gestalten, die ganz alltägliche Dinge taten. Jedes Jahr fügte Nonno Filippo etwas Neues in die Krippe ein. Diesmal standen neben dem Stall fünf Bissinier, die Farbe in die Landschaft brachten, im Himmel waren zwei dreimotorige Caproni, und mitten auf dem großen Kometenstern war das Gesicht von Benito Mussolini, das Glanz verbreitete. Nachdem sie Fisch im Backrohr und Cassata gegessen hatten, trafen die Nachbarn ein, um die Krippe zu bewundern. Nonno Filippo bot allen Cannoli und Marsala an, und er war stolz wie ein Pfau über die Komplimente, die ihm jeder machte.
Als in dem Zimmer an die zehn Personen waren, fing Nonna Agatina, die eine schöne Stimme hatte, an zu singen:
Tu scendi dalle stelle, o Re del Cieeeeelo, e vieni in una grotta al freddo e al geeeeelo …
Du steigst herab von den Sternen, dir Himmelskönig sei Preis, und kommst in eieinen Staaall bei Käälte, Schnee und Eis …
Plötzlich packte eine Hand Michilino an der Speiseröhre. Es war zwar keine richtige Hand, aber es war, als ob sie richtig wäre, sie drückte wie die Hand eines Mannes.
Er stürmte aus dem Zimmer und schloß sich auf der Toilette ein, wo er dem Schmerz freien Lauf lassen konnte. Oh, liebes Jesulein! Oh, liebes, vielmals angebetetes Jesulein, was weißt du, während du im Stall liegst, zwischen Ochs und Esel, was weißt du davon, was die Sünden der Menschen dir für Leiden bringen? Nein, nein, du weißt es, denn du bist Gottes Sohn, schon im Stall kennst du das Schicksal und fühlst du die Last des Kreuzes, das du tragen wirst, fühlst du das Eisen der Nägel, die mit Hammerschlägen in dein Fleisch eindringen, fühlst du das Stechen der Dornenkrone, und trotzdem willst du geboren werden und wachsen und leben und sterben, wie du gestorben bist, damit auch ich, Sterlini Michilino, von den Sünden errettet werde, die dich verletzen und dich quälen. Oh, lieber Jesus, oh, lieber Jesus! Der du in dem Stall liegst, mit dem heiligen Joseph und der Madonna, deiner Mutter … Mamà? Wo war sie, Mamà, zu dieser Stunde? Vielleicht war sie ganz allein in einem Zimmer des Spitals und verzweifelte bei dem Gedanken an ihren fernen Jungen, der verlassen auf einer Toilette weinte, die nach Pinkel roch …
»Michilì, entschließt du dich endlich, da rauszukommen? Ich muß mal!«
»Nur eine Minute.«
Das war Papàs Stimme. Michilino wusch sich schnell das Gesicht. Doch als er die Tür öffnete, merkte Papà sofort, daß sein Sohn geweint hatte. Er sagte nichts, er sah ihn aber lange an und streichelte ihm dann über den Kopf.
Später gingen alle in die Kirche, um die Mitternachtsmesse zu hören. Michilino blickte während der Mette nicht zum Hauptaltar, er betrachtete den Gekreuzigten und sprach zu ihm ohne Worte, nur mit dem Kopf. Hatte der liebe Herr Jesus gesehen, was für ein mutiger Soldat er gewesen war, als die beiden Jungen ihm Geld stehlen wollten? Er war nicht weggelaufen, im Gegenteil, er hatte sich ihnen gestellt und sie in die Flucht geschlagen. Ach, lieber Herr Jesus mein, in dieser feierlichen Nacht verspreche ich, Sterlini Michilino, dir, daß ich mich immer so verhalten werde gegenüber deinen Feinden.
In dieser Nacht schlief Michilino im Haus der Nonni, in
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