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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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beugte sich zu ihm herab und heftete ihm eine Medaille an die Brust.
      Das dritte Mal lag er wieder vor der Kirche. Aus der Wunde in seinem Herzen schoß Blut. Und der liebe Herr Jesus erschien, er machte eine Bewegung. Und auf diese Bewegung hin stellten sich die Erde, die Häuser, die Straßenlaternen quer, derart, daß er sich gewissermaßen in einer Ebene mit ihnen sehen konnte. Der liebe Herr Jesus schwebte über ihm und sah ihn lächelnd an: »Du, mein großmütiger Soldat! Du, tapferer Kämpfer meines unendlichen Heeres! Du, mit deiner Tat, hast nicht nur Mamà gerettet, sondern auch dich selbst! E go te absolvo, Michilino!«
      Danach herrschte kein dichtes Dunkel mehr, sondern eine Art Helle, die immer lichter wurde. Er öffnete die Augen.
    Neben ihm saß auf einem Stuhl Papà.
    »Michilino!«
    »Ja, Papà.«
      Und Papà fing an zu weinen, seinen Kopf hatte er auf den Bettrand des Krankhausbettes gestützt, in welchem er, Michilino, lag, seit Tagen, seit vielen Tagen, der sterbende Sohn, der die Augen nicht öffnete und niemandem antwortete.
      »O Herr, ich danke dir! O Herr, ich danke dir!« sagte Papà inmitten all seiner Tränen.
      Am dritten Tag, nachdem er das Bewußtsein wiedererlangt hatte, verspätete Papà sich ein kleines bißchen.
    Michilino sah an seiner Stelle Nonno Aitano und Nonna Maddalena herantreten, die vor lauter innerer Bewegung gar nicht sprechen konnten.
      »Und Mamà kommt mich nicht besuchen?« war Michilinos erste Frage.
      »Ernestina haben wir nichts erzählt von dem, was dir zugestoßen ist«, sagte Nonno Aitano.
      »Wir haben Angst gehabt, die Nachricht könnte einen Rückfall bei ihr auslösen, jetzt, wo sie sich zu erholen beginnt«, erklärte Nonna Maddalena. »Doch sobald es ihr besser geht, sagen wir's ihr.«
      »Du wirst schon sehen, früher oder später kommt sie wieder«, meinte Nonno Aitano tröstend.
    »Erst muß sie Frieden mit Papà schließen«, sagte Michilino.
      Die Großeltern waren sprachlos, sahen einander an, sahen Michilino an, sahen dann wieder einander an.
      »Woher weißt du denn, daß sie sich gestritten haben?« fragte Nonno.
      Darauf gab es keine Antwort, denn just in diesem Augenblick kam Papà herein, und sie wechselten das Thema. Papà umarmte sie und tauschte Küsse mit den Schwiegereltern, fragte aber nicht nach dem Gesundheitszustand seiner Frau. Als sie im Begriff waren zu gehen, sagte Papà zu Nonno Aitano: »Ich habe den Treibstoff noch nicht gefunden, den du willst, aber ich bin sicher, daß sie ihn mir bald beschaffen.«
    Noch eine Woche verging, bevor Michilino das Spital verlassen durfte. Der Bequemlichkeit halber beschloß Papà, daß er in der Kammer schlafen und das große Bett seinem Jungen und Marietta überlassen würde, die sich so auch nachts um ihn kümmern konnte. Als Michilino gesund war, stellten sich die Dinge wieder so ein wie vorher. Die Onkel und Tanten kamen ihn besuchen, die Cousinen und Cousins, die engsten Verwandten, die entfernten Verwandten und Papàs Freunde, die Freunde von Nonno Aitano und von Nonno Filippo. Kurz gesagt, die halbe Stadt kam ins Haus. Marietta, die ihn im Krankenhaus nicht besucht hatte, spielte die Gastgeberin.

    »Erinnerst du dich, wie das gekommen ist?« fragte Papà eines Tages.
      Nach dem Besuch des Arztes an diesem Morgen hatte dieser bestimmt, daß Michilino noch nicht aufstehen dürfe, und als Trost hatte Papà ihm das Essen an Mariettas Stelle gebracht. Michilino erinnerte sich natürlich sehr klar an die Geschehnisse. Wenn er nun nein sagte, beging er eine Sünde, weil es eine Lüge war. Wenn er ja sagte, mußte er erklären, wieso er versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Er machte eine Bewegung mit der rechten Hand, die alles und nichts bedeutete.
    »Erinnerst du dich, daß es stark geregnet hat?« beharrte Papà.
      Regnete es? Regnete es stark? Daran konnte er sich wirklich nicht erinnern, obwohl er sich bemühte. Es mußte zu regnen angefangen haben, als er in der Kirche war.
    »Nein.«
      »Signor Palminteri, der sein Geschäft gleich gegenüber der Kirche hat, hat alles gesehen und mir berichtet.«
    »Ach, ja? Und was hat er dir berichtet, Signor Palminteri?«
      »Er hat dich ganz normal aus der Kirche herauskommen gesehen, und er hat gesehen, wie du zu dem Kanalgitter gegangen bist, und du hast etwas da hineingeworfen, dann hast du dich umgedreht, bist in der Nässe ausgerutscht und auf die Erde gefallen. Danach hast du versucht

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