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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Magen sich umstülpte. Wie schaffte es Papà nur, nicht zu begreifen, daß Marietta ein losgelassener Teufel war? Und war es denn nicht seine, Michilinos, Pflicht als Soldat des lieben Herrn Jesus, ihm die Augen zu öffnen und es ihm auf jede Art und Weise begreiflich zu machen?

    Der Arzt hatte ihm ein Medikament verschrieben, das eigens in der Apotheke hergestellt werden mußte. Es war ein Aufbau- und Beruhigungspräparat, denn Michilino schlief wegen der Verletzung nicht mehr so gut. Marietta brachte das Rezept in die Apotheke, und zwei Tage später ging sie wieder vorbei und holte die Flasche ab. Michilino mußte zehn Tropfen auf ein halbes Glas Wasser vor dem Schlafengehen nehmen. Die Cousine bereitete es vor und stellte es auf den Nachtkasten. Michilino trank die Arznei aus und ging dann in die Küche, wo er das gebrauchte Glas mit einem sauberen auswechselte, denn manchmal bekam er nachts Durst. Die Medizin war gallebitter, sie machte den Mund richtig giftig. Eines Nachts wachte Michilino wegen einer Bewegung auf, die die Matratze machte. Es war Marietta, die zurückgekommen war und sich wieder hinlegte, sie mußte wohl ins Badezimmer gegangen und einem Bedürfnis nachgekommen sein. Und es mußte sich um ein großes Bedürfnis gehandelt haben, denn für die kleinen Bedürfnisse gab es Nachttöpfe hinter der Tür der Nachtkästen. Obwohl ihre Körper sich nicht berührten, war Michilino sicher, daß die Cousine schwitzte und versuchte, den schweren Atem zu kontrollieren, so als hätte sie gerade eben einen Lauf zurückgelegt. Die Rathausuhr schlug vier in der Frühe. Und in der Wärme der Bettdecke fing Marietta an, Frauengeruch auszuströmen, und dieser Geruch wurde von Minute zu Minute stärker, bis die Luft in der Kammer nicht mehr zu atmen war. Er legte sich auf den Bauch und steckte die Nase ins Kopfkissen, so daß er beinahe erstickte, aber besser, an Luftmangel zu sterben, als daran, daß man diese verfaulte, infizierte Luft eingeatmet hatte.
      Sobald Marietta aus dem Haus gegangen war, um Besorgungen zu machen und sich von dem Geld, das Papà ihr gegeben hatte, ein neues Kleid zu kaufen, und daher lange wegbleiben würde, lief Michilino in Papàs Arbeitszimmer und nahm sich eine Ausgabe der Zeitung Il Popolo d'Italia, di e er aus dem unteren Teil des Zeitungsstapels heraussuchte. Er blickte auf das Datum, die Zeitung war von vor zwei Jahren, unwahrscheinlich, daß Papà sie noch einmal lesen würde. Er legte sie auf den Eßzimmertisch; in der Küche füllte er eine Untertasse mit ein bißchen Wasser, fügte vier Prisen Mehl hinzu und verrührte die Masse mit dem Finger. Der Mehlkleister war fertig. Aus der Küche nahm er auch die Schere, die zum Säubern von Fischen diente, und kehrte ins Eßzimmer zurück. Tags zuvor nach dem Unterricht hatte er ein Blatt Papier gekauft, einen Briefumschlag und eine Briefmarke. Er brauchte ungefähr eine Dreiviertelstunde, um die Buchstaben des Alphabets zu finden und auszuschneiden, doch am Ende hatte er es geschafft.

    DU HAST DIR DEN TEUFEL INS HAUS GEHOLT

    Der anonyme Brief war fertig. Er legte die Zeitung wieder an ihren Platz zurück, wusch die Untertasse, legte die Schere wieder da hin, wo sie gewesen war, wartete eine Weile, bis der Mehlkleister trocken war, steckte das Blatt in den Umschlag, beleckte und verschloß ihn und klebte die Briefmarke darauf. Den Brief steckte er in den Tornister, denn darin schaute sowieso keiner nach, weder Papà noch Marietta.
      Als der Unterricht beendet war, wartete er auf der Treppe sitzend, daß Prestipino kommen würde, der immer verspätet war.
    »Prestipì, tu mir einen Gefallen.«
    »Kann ich nicht, es ist schon spät.«
    »Ich bezahl' dich.«
    »Wieviel?«
    »Eine halbe Lira.«
      Prestipino war sprachlos, er hatte keine so hohe Summe erwartet.
    »Wirklich?«
      Michilino kramte aus seiner Tasche die Münze hervor und legte sie auf die Stufe.
    »Was soll ich tun?«
    Michilino hielt ihm den Umschlag hin.
      »Du mußt eine Adresse auf den Umschlag schreiben. In Druckbuchstaben. Und fehlerfrei. Bei jedem Fehler, den du machst, zieh' ich dir einen Soldo ab. Und dann mußt du das Maul über diese Sache halten, sonst bring' ich dich um.«
    »Gib mir Feder und Tinte.«
    »Nein, nimm deine eigene.«
      Prestipino benutzte schwarze Tinte, Michilino dagegen blaue. Prestipino machte keinen Fehler, und Michilino warf den Brief ein, bevor er wieder nach Hause zurückkehrte.
      Als er ankam, fand er Papà im

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