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Der zerbrochene Himmel

Der zerbrochene Himmel

Titel: Der zerbrochene Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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Mamà in Padre Burruano verliebt war, durfte sie mit ihm keine unanständigen Dinge treiben. Er mußte unbedingt die Vergebung des lieben Herrn Jesus erlangen. Unbedingt. Und er mußte es so tun, daß auch Mamà Vergebung fände. Doch je länger er über dieses Problem nachdachte, desto mehr gelangte er zu der Überzeugung, daß der liebe Herr Jesus nie und nimmer zwei Menschen gleichzeitig retten könnte, zwei große Sünder auf einen Schlag. Allenfalls, allenallenfalls hätte er es bei einem einzigen geschafft. Er merkte, daß er zitterte und ein paar Grad Fieber in ihm aufstiegen. Er steckte die Hände in die Manteltaschen, um sie aufzuwärmen, und in der rechten berührte die Hand die metallische Kälte des Taschenmessers. Da fiel ihm plötzlich die Lösung des Problems ein. Sie war ganz leicht. Er stand auf, kam hinter der Säule hervor und blickte um sich. Die Kirche war noch leer. Er kniete vor dem Gekreuzigten nieder und betete den Schmerzensreichen. Es kam ihm vor, als hätte er ihn schlecht gebetet, mit wenig Überzeugung. Er wiederholte ihn und wägte jedes Wort ab. Dieses Mal war es ihm zwar besser gelungen, aber es war immer noch nicht so, wie er es haben wollte.
    »Mein Gott, in Demut bereue ich …«
      Ja, so war es richtig. Er sagte es dreimal hintereinander, und jedesmal stieg das Fieber an. Danach stand er auf und ging bis zum Eingangsportal der Kirche. Er wandte sich zum Altar mit dem Gekreuzigten um, legte sich bäuchlings auf den Boden, streckte die Arme vor sich aus, streckte die Zunge heraus und begann, den Fußboden abzulecken, bewegte sich mit der Kraft seiner Arme vorwärts, immer ganz unterwürfig. Gelegentlich wurde die Zunge trocken, dann steckte er sie wieder in den Mund, um sie mit Speichel zu nässen und weitermachen zu können. Schließlich gelangte er zum Betstuhl vor dem Gekreuzigten. Er knöpfte sich den Mantel und die Jacke auf, ergriff das Taschenmesser, öffnete es und hielt es fest in der rechten Hand.
      »Lieber Herr Jesus, ich biete dir mein Leben im Tausch für das ewige Leben meiner Mamà. Wenn du uns nicht beide gleichzeitig erretten kannst, so errette sie allein.«
    Und er stieß sich das Taschenmesser ins Herz. In diesem
    Augenblick sah der liebe Herr Jesus ihn an, lächelte ihm zu und blickte wieder zum Himmel. Anders als Michilino es sich vorgestellt hatte, spürte er keinen Schmerz, und Blut lief auch nicht viel. Möglich, daß er in wenigen Minuten tot sein würde. Es gelang ihm, das Taschenmesser aus dem Fleisch zu ziehen, und augenblicklich schoß das Blut heraus und verdreckte sein Hemd, seine Jacke und seinen Mantel. Er stand auf, um die Kirche zu verlassen, doch bei jedem Schritt nahm seine Kraft ab. Gleich vor dem Portal befand sich rechter Hand ein Loch mit einem Gatter darüber, das Regenwasser auffing. Er warf das Taschenmesser dort hinein. Denn als Toter würde es ihm nichts mehr nützen. Er machte noch vier Schritte, dann stürzte er auf die Erde, mit dem Gesicht nach unten. Wieder versuchte er aufzustehen, konnte sich auch auf ein Knie stützen, doch alles um ihn her begann zu schwirren. Erneut stürzte er hin, und diesmal in ein tiefes Dunkel.

    Das Dunkel riß gelegentlich auf. Beim ersten Mal fand er sich auf einem goldenen Thron sitzend, mit zwei Engeln an seiner Seite, einer spielte Violine und der andere blies Trillerpfeife. Der Thron schwamm mitten in einem Wolkenmeer, und aus diesen Wolken tauchte Mamà auf, die auf ihn zulief.
      Sie war blaß, nachlässig gekleidet, mit Haaren bis zu den Schultern. Kaum war sie auf der Höhe des Thrones, kniete sie nieder und sagte: »Heilig! Heilig! Heilig, mein Sohn, der du mich errettet hast vor dem ewigen Höllenfeuer um den Preis deines Lebens! Ich bin gerettet, mein heiliger Sohn!«
    Und sie weinte, glücklich und doch verzweifelt.
    Beim zweiten Mal, als das Dunkel aufriß, befand er sich am Sportplatz der Stadt. Noch war da das Fort, das für die Eroberung von Makallé aufgebaut worden war. Auf den Podesten stand Benito Mussolini, haargenau so wie in der Tönenden Wochenschau, die Hände an den Schenkeln, und er hatte auf der einen Seite neben sich Papà und auf der anderen Seite den Zenturio Kommandeur Scarpin.
    »Balilla-Elitemusketier Sterlini Michelino!« rief Mussolini.
      Und er stieg auf die Podeste mit seinem hart gewordenen Vögelchen, was ihm aber gar nichts ausmachte, ja, die Menschen klatschten sogar in die Hände. Er war in Uniform und hatte seine Muskete bei sich. Und Mussolini

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